Touren im Underground

Jeden Abend vor tausenden von Menschen spielen, im Tourbus sitzen und Songs über das romantische „Life on the road“ schreiben, saufen, koksen, Groupies abschleppen, das Feeling genießen, frei wie der Wind aller gesellschaftlicher Konformität zu trotzen, entweder mit Mitte 40 tot auf der Bühne umfallen und zur Legende werden oder eben in seiner Villa in Miami den Lebensabend als abgerockter Millionär mit einem Playmate verbringen! Das ist leider den allerwenigsten von mir und meinen Musiker-Kollegen vergönnt.

Die 80er Jahre, diese sagenumwobene Blütezeit von Legenden wie Slayer, Metallica und Iron Maiden, sind leider vorbei. Und man muss ja schließlich spießigen finanziellen Verpflichtungen wie Miete, Versicherungen, Kindesunterhalt und den regelmäßigen Tilgungsraten für den Auto-Kredit irgendwie hinterherkommen – Ergo: Statt Sex, Drugs & Rock’n’Roll gibt’s Vollzeitanstellung, Ratenzahlung und Musik nur als Hobby. Aber dennoch: man erlebt als Underground-Musiker andere schöne, spezielle und manchmal auch einfach urkomische oder extrem fragwürdige Dinge.

Statt Sex, Drugs & Rock’n’Roll gibt’s Vollzeitanstellung, Ratenzahlung und Musik nur als Hobby.

Ich bin Manuel, seit nunmehr 10 Jahren Gitarrist in diversen saarländischen Underground-Metal-Bands. Zu großem Weltruhm hab ich’s bis jetzt noch nicht gebracht, aber seien wir ehrlich: die wenigsten haben das! Die einzigen mir bekannten berühmten Saarländer sind Oskar Lafontaine, Erich Honecker, Franz Eder und Heinz Becker. Ich komme dafür als Aushilfs-Gitarrist/-Bassist des öfteren mit einer lokalen Band in die Weiten unseres Bundeslandes hinaus. Auch mit meiner eigenen Truppe ergibt sich hin und wieder ein Gig außerhalb der heimischen Gestade. Und da dies der einzige Weg ist, seiner Berufung und seinen Träumen vom Rockstartum möglichst nahe zu kommen, ohne seine Komfort-Zone verlassen zu müssen, tue ich dies auch immer wieder gerne.

über Nacht die 400km eben wieder zurückzugurken

Wie erwähnt, den Tourbus voll mit Groupies findet man in unserer Gehaltsklasse eher nicht, aber dazu vielleicht ein andermal mehr. Tourbusse – wenn überhaupt – mieten wir Undergrounder an oder wenden, wenn es ganz ernst wird, sogar Geld dafür auf, uns einen mehr oder minder Brauchbaren gebraucht zu kaufen. Das sind dann meist Kleinbusse, in die der halbe Proberaum verladen wird, und dann geht’s auf in die Welt! Oder eben ins Nachbarbundesland, vorausgesetzt die Karre fällt einem nicht heimtückisch in den Rücken und lässt einen auf halber Strecke zum Gig an der Autobahn liegen. Nach dem Gig wird dann entweder bei der Veranstalter-Band im Proberaum gepennt oder man eruiert, wer noch am ehesten fahrtüchtig ist und beschließt, über Nacht die 400km eben wieder zurückzugurken. Wer schon einmal versucht hat, während einer nächtlichen Heimfahrt auf der Sitzbank eines Sprinters mit seiner Jacke als Kopfkissen zu schlafen, der weiß, wie viel Spaß so etwas machen kann. Den Hintern irgendwie im Anschnallgurt verzurrt, um beim Bremsen oder gewagten Überholmanövern nicht von besagter Sitzbank zu fliegen, während der Gitarrist die Karre mit gefühlten 200km/h über die Autobahn heimwärts peitscht… DAS sind bleibende Erinnerungen!

Man glaube es oder nicht, aber selbst ein Kleinbus ist Luxus. Wenn ich als Aushilfe unterwegs bin, dient ein Ford Mondeo Kombi mit Dachgepäckträger als Tourbus. In aller Regel ist es aber das eigene Auto. So wird mit dem Proberaum-Inhalt (Amps, Gitarren, Banner, Snare-Drum, Becken, Mikros und Merch) im Kofferraum Tetris gespielt und man teilt sich die Rückbank mit zwei anderen übergewichtigen Bandmitgliedern. Vor allem im Hochsommer ein Spaß, wenn man sich gegenseitig voll schwitzt und dein Sitznachbar zu Fahrtbeginn erst mal einen Kaffee getrunken und eine Kippe gequalmt hat. Ein Nasenschmaus für alle Kenner und Mitmusiker.

Affektmord oder Duschen?

Ebensolcher Luxus ist die Übernachtung in Hotels, weil diese eben kostspielig sind und man muss ja mit dem Inhalt der Bandkasse haushalten. Und weil man eben haushalten muss teilt man sich dann schon mal ein Ehebett mit seinem Mitmusiker, welcher einen nach einer durchgeschnarchten Nacht in den frühen Morgenstunden vor eine grausame Wahl stellt: Affektmord oder Duschen? Gut, wenn man duschen kann. Es gibt auf Tour nichts angenehmeres als eine saubere Dusche. Unsereins arbeitet ja noch auf der Bühne, richtig true undergroundig, wie sich das für eine richtige Metal-Band gehört. Wenn man dann vor der Weiterfahrt im Schweiße seines Angesichts mit zerzausten Haaren und patschnassen Klamotten nur ein Waschbecken hat, was man sich zu fünft teilen muss… Nun ja, ich sage mal, man lernt die Nasen aus dem Proberaum unweigerlich besser kennen. In solchen Fällen hat man besser viel Deo dabei oder nutzt die Gelegenheit um irgendein Schwimmbad in der Nähe aufzusuchen. Hygiene ist sehr wichtig, gerade wenn man sich stundenlang ein Auto teilt.

Da man zwischen Fahren, Gig, Stinken, Duschen und Schlafen in der Regel ein wenig Zeit zum überbrücken hat, sucht man sich Beschäftigungen und Zeitvertreib auf Tour. Lesen, Musik hören, Stricken, gepflegte Konversation über Weltpolitik, PEGIDA oder die wirklich wichtigen Dinge im Leben (objektive Bewertung von Trash- und/oder….. „anderen“ Filmen, Abstraktion und Pornifizierung altbekannter Metal-Album-Klassiker, Austausch über aktuell angesagte Damen und Persönlichkeiten….. for „research“ purposes of cause…), oder wie in unserem Fall: Geo-Caching. Dabei kann es dann schon mal vorkommen, dass beide Cacher sehr vertieft und höchst konzentriert auf ihre GPS-Karte im Smartphone starren, währen die Umgebung um die Autobahnraststätte mit Burger King auf Hinweise abgesucht wird. So vertieft, dass man plötzlich unvermitteltes Quieken hört, weil jemand unversehens auf einer fetten Ratte steht.

I’ve been looking for Freedom

Soundmenschen oder Tontechniker sind auch immer eine Freude. Vor allem kann man bei den Herrschaften neben dem Sachverstand (allgemeiner Bühnensound) auch immer testen, wie viel Humor sie haben. Intro und Outro dürfen ja bei keiner halbwegs ambitionierten Band fehlen. Mit den Jungs von Godslave auf Tour ist es seit Jahren üblich, dass als Outro die DDR-Befreiungshymne „I’ve been looking for Freedom“ von David Hasselhof läuft. Wenn der Soundmann richtig gute Laune hat, lässt er sogar noch „Limbo Dance“ laufen, was auf der Intro/Outro-CD direkt danach kommt. Das machen allerdings die allerwenigsten, wie wir mittlerweile festgestellt haben.

Natürlich muss auf Tour auch gegessen werden, man ist ja immer noch Mensch mit gewissen Bedürfnissen. Bestenfalls wird professionelles Catering organisiert, im Regelfall werden Pizzen vom Veranstalter bestellt und/oder Salate und kleine Häppchen von Ehefrauen/Freundinnen/Mamas selbstgemacht. Was auch schon vorkam war, dass die Verpflegung mit einem lokalen Döner-Laden ausgehandelt wurde, der dann plötzlich leicht an Farbe verlor, weil er gar nicht mit 5 Personen pro Band gerechnet hat, als er zugestimmt hatte. Schlimmstenfalls gibt’s für die Vorband gar nix, wenn der Headliner das georderte Catering zuerst beansprucht und man gnädigst hoffen darf, dass irgendetwas übrig bleibt. Was dann aber wiederum ein mieses Verhalten vom Headliner ist. In Fachkreisen wird so was Phantomspeisung genannt. Auf der anderen Seite habe ich mich mal mit Sean Beasley, Bassist und Sänger bei Dying Fetus, über die geniale Nachspeise am Catering-Buffet ausgelassen, die er mir herzlichst empfohlen hat. So was ist nett. Übrigens sind auch Urgesteine wie Dying Fetus in Deutschland auf Club-Tour mit einem Kleinbus und einem Anhänger und minimaler Ausrüstung unterwegs.

Wenn man es sich genau ansieht, ist mal also doch nur gefühlte 2 Millionen Likes, ein paar hunderttausende verkaufte Alben und einen etablierten Namen weit von seinen Vorbildern entfernt. Die haben auch irgendwann einmal klein angefangen. Und ganz ehrlich, ich schnuppere lieber nur hin und wieder ein bisschen Tourluft, als niemals in meinem Leben in den Genuss gekommen zu sein. Touren im Underground ist nicht wie in den Tour-Dokus der Big Four. Es ist viel pragmatischer, nicht ganz so romantisch. Aber es macht einen Heidenspaß und man erinnert sich immer wieder gerne daran.

Die haben auch irgendwann einmal klein angefangen.

Zugegebenermaßen ließt sich das alles nicht viel anders als ein Road-Trip mit ein paar Kumpels. Und ehrlich gesagt ist es letzten Endes auch nichts anderes. Aber alleine dass Wissen, das man seine Instrumente dabei hat und de facto mit den Nasen aus dem Proberaum diese gemeinsame Erfahrung teilt und ewig weit fährt, nur um für ein paar Kröten dort seine Musik vor 30 Leuten zu machen, alleine dieses Wissen gibt einem schon etwas. Dieses Feeling ist unbeschreiblich, wenn man es nicht selbst erlebt hat. Man unterstützt die Szene, die Musik die man liebt, man lernt neue Bands und mitunter auch Freunde kennen und kann ab und zu seinen Idolen sprichwörtlich über die Schulter schauen. Anders hätte ich mir nie eine Bühne mit Cripper, Sodom oder Dying Fetus teilen dürfen. Und verdammt, ICH LIEBE ES! Ich nutze jede Möglichkeit mir diesen Spaß zu gönnen, und seien es auch nur 150km bis zum nächsten Underground-Festival. An diesen Wochenenden kann mich die ganze Welt kreuzweise, jeder Vermieter, jeder Versicherungsmensch, jeder Chef! DAS ist MEIN Ding, mein Rockstar-Moment in meinem sonst tristen und gezwungenermaßen spießbürgerlichen Alltag! Dieses Feeling ist da, dieses unbeschreiblich erfüllende. Und nur auf dieses Feeling kommt es letzten Endes an!


Das ist ein Gastbeitrag von Manuel


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