Welch prächtige Symphonie! – Æther Realm
ÆTHER REALM – Tarot
Veröffentlichungsdatum: 07.06.2017
Dauer: 73 Min.
Label: Primitive Ways Records
Stil: Melodic Death/Folk Metal
Manchmal kann es vorkommen, dass man, wenn man nicht aufpasst, etwas Wichtiges aus den Augen verliert. So ging es mir mit ÆTHER REALM. Vor einigen Jahren stöberte ich die Band auf einer meiner zahllosen Youtube-Durchforstungen nach guter Musik auf – und ich fand die Mucke richtig fett. Schneller, äußerst melodischer Death Metal mit folkigen Einflüssen, das war genau das, wonach ich gesucht hatte. Irgendwann vergaß ich jedoch dann die Existenz der Chose – bis mir Youtube vor Kurzem aus dem Nichts heraus das neue Album „Tarot“ vorgeschlagen hat.
Und ich kann vor Begeisterung nur in die Hände klatschen. Welch prächtige Symphonie! Welch abwechslungsreiches, episches Werk voll melodischer Höhenflüge und Vitalität! Meist in hohem Tempo voranpreschend, hier und da aber auch mal ruhig, akustisch-schönklingend oder in balladesken Bombast getränkt, platzt es an Energie konstant aus allen Nähten. Es fließen gekonnt Folk- und Power-Metal-Influenzen im Namen des Melodic Death Metal zusammen und formen so dieses grandios komponierte Konzeptalbum.
Vocal-technisch werden neben den vorherrschenden Growls auch ruhiger Clean-Gesang, Chor-Parts und sogar ein Gastauftritt von Alestorm-Sänger Bowes geboten (mit denen gibts übrigens ne Europa-Tour!). Klavier-Parts, unterschiedlichste Folk-Elemente und sogar ein kurzer videospielmusikalisch (Hach, Deutsch. Die Sprache der Komposita) anmutendes Song-Intro sorgen für noch mehr wohlklingende Abwechslung. Hinzu kommt noch, dass (fast) jedes Lied thematisch einer Tarot-Karte zugeordnet ist, was sich gleichzeitig auf musikalischer Ebene widerspiegelt.
Als ich die Band damals entdeckte, fiel ich über einen Comment, in dem sie sich als „Five guys who love WINTERSUN far too much“ beschrieben. Das ist auch immer noch unverkennbar rauszuhören, und Fans der Finnen werden definitiv etwas mit ÆTHER REALM anfangen können. Letztere darauf zu reduzieren, wäre allerdings ein großer Fehler, denn sie haben weitaus mehr zu bieten als das.
Zu den Songs:
Ich mag sie eigentlich alle, und auch als Gesamtwerk ist das Album eine ebenso wundervolle wie stimmige Kreation. Leider ist „The Fool“, ausgerechnet der Opener, ein bisschen der Buhmann des Albums. Diesem fehlt es etwas an Inspiration, und der Sound lässt den Blastbeat-unterlegten Refrain eher ungünstig rumplig erscheinen. Das ist natürlich ein Problem, da viele potentielle Hörer sich durch so etwas abschrecken lassen könnten, bevor sie die Möglichkeit haben, tiefer in das Werk einzutauchen.
Im Kontrast dazu steht für mich „King of Cups“ – definitiv der Hit der Platte. Hier dringen die Stärken am meisten durch: geniale Melodien auf treibender Double-Bass und energischen Power-Riffs, mit Exkursionen in unterschiedlichste Gefilde – hört es euch einfach selbst an.
Am Ende von „Tarot“ steht dann, wie ein urgigantischer Monolith, das 19-Minütige Epos „The Sun, The Moon, The Stars“. Ich liebe es sehr, wenn Musiker sich die Mühe geben, einen solchen Song zu schreiben. Dabei können sich viele Teile des Potentials einer Band erst so richtig entfalten. Wenn man sich dann als Hörer die Zeit nimmt, einen solchen Track in Ruhe und Konzentration anzuhören, bietet es einem oft ein Portal in ein wundervolles, vielschichtiges Hörerlebnis, eine von dem Track geleitete Reise durch das musikalische Universum, welches die Musiker einem zeigen wollen. Und hier ist es nicht anders. In einem letzten, epischen und abwechslungsreichen Lied geben ÆTHER REALM noch einmal alles was sie haben. Kurz gesagt – Ich liebe es.
Gibt es denn eigentlich auch etwas Negatives zum Album zu sagen? Nun ja, es gibt zwei Riffs/Melodien, die fast eins zu eins wie altbekannte FINNTROLL-Melodien klingen. Des Weiteren sind die Clean Vocals zwar passend und cool, an WINTERSUN und Konsorten kommen sie aber leider nicht ganz ran. Und in manch härteren Parts hätte es ein ordentlich-aggressiver Scream vielleicht besser getan, als cleane Power-Vocals. Ich muss aber betonen, dass diese Dinge im Angesicht der Brillianz dieses Werks fast schon ins Unsichtbare verblassen. Großartiges Album. Diese Band, meine Damen und Herren, ist zu Großem bestimmt.
Autorenbewertung
Vorteile
+ melodisch
+ episch
+ abwechslungsreich
+ Konzeptalbum
Nachteile
- Cleans müssten nicht ganz so präsent sein
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