Weniger Dunkelheit, mehr Licht und Energie lautet die Devise! – HERETOIR
HERETOIR – The Circle
Veröffentlichungsdatum: 24. März 2017
Dauer: 65:37 Min.
Label: Northern Silence Productions
Genre: Post Metal
Es gibt Bands, die hauen jedes Jahr ein Album (oder sogar mehr) raus. Der eine mag jetzt meinen: „Die sind halt kreativ, also warum nicht!?“, ein anderer behauptet vielleicht: „Tja, umso mehr wird in kurzer Zeit verkauft, und es fließt mehr Geld.“ Dauert die „Release-Abstinenz“ allerdings zu lange, wird der Lieblingsband in der Regel Feuer unterm Arsch gemacht, weil sich die Fans nach Nachschub für die Trommelfelle sehnen. Was ist denn nun aber die genau richtige Zeit, die sich Künstler für ein neues Album nehmen sollten?
Im Fall von HERETOIR liegen sechs Jahre zwischen dem Debüt-Album und dem nun kommenden „The Circle“. Wie es scheint, war dies genau der perfekte Zeitraum, den sich Eklatanz nur für das kommende Silberscheibchen nehmen konnte, denn das Werk weiß von vorn bis hinten zu begeistern und klingt wahnsinnig ausgereift, und das bei sagenhaften elf Tracks.
… denn die Platte in ihrer Gesamtheit klingt sehr neu, sehr frisch.
Ehrlich gesagt habe ich, die bisherigen Platten im Hinterkopf, ein eher düsteres, niederschmetterndes, emotionales Werk erwartet, teilweise sogar ein etwas beengendes. Diese Zeiten sind vorbei! Offenbar hat sich in den sechs Jahren Schaffensphase einiges getan, denn die Platte in ihrer Gesamtheit klingt sehr neu, sehr frisch. Sie beansprucht sehr viel Raum und gibt mir irgendwie das Gefühl von Freiheit, anstatt von unangenehmer Beklemmung.
Kennt ihr das, wenn ihr mit einem Song oder einem Album plötzlich eine Farbe in Verbindung bringt? Beim Hören dieser Scheibe dominiert für mich die Farbe weiß (für alle Klugscheißer – ich gebe mir selbst den Hinweis: „Weiß ist doch gar keine richtige Farbe!“). Bei fast allen Stücken wird vorm inneren Auge alles immer heller. An sich füllt die Musik den Raum um mich mit einer sehr wohligen Atmosphäre. Das Werk birgt sehr viel Melancholie und Platz zum Träumen, drückt aber im nächsten Moment wieder mit positiver Energie nach vorn, anstatt, wie bisher bekannt, mit Verzweiflung nach unten zu ziehen. Dabei kommen auch Blastbeats und die Bassdrum-Action nicht zu kurz.
Es geht um das Leben, das der Sonne und der Freiheit gewidmet ist.
Die musikalischen Kompositionen passen wie die Faust aufs Auge zu den lyrischen Themen des Albums. Textlich dreht sich „The Circle“ nämlich um den Kreislauf des Lebens, um Tod und Wiedergeburt, und bildet eine emotionale und tiefe Reise ab. Es geht um das Leben, das der Sonne und der Freiheit gewidmet ist.
Die Vocals, die der Herr Eklatanz hier abliefert, sind große Klasse! Die Screams klingen brachial – das pure Energiebündel, die cleanen Gesänge hingegen klingen unglaublich sauber und gefühlvoll. Die Gitarrenspuren lassen mich entweder in Gedanken oder Traumsequenzen versinken, oder polieren mir gewaltig die Fresse. Irgendwie haut mich die neue Mischung hier völlig vom Hocker.
Dazu kommt, dass das Endprodukt der Aufnahmen so unfassbar klar und deutlich klingt. Für mich stehen die eingespielten Instrumente in einem perfekten Verhältnis zueinander. Nichts ist zu leise oder zu laut, sondern alles wurde auf den Punkt getroffen. Punktgenau und präzise fliegen mir auch die Drum-Spuren um die Ohren, die der Herr Schuler (DER WEG EINER FREIHEIT) für HERETOIR eingewammst hat. Ich zitiere an dieser Stelle Chefredakteur Robert: „Ich habe selten eine Band gesehen, die live so tight auf den Punkt ist, wie DER WEG EINER FREIHEIT.“ Und das liegt sicher nicht zuletzt an den Fähigkeiten von Tobias Schuler hinter der Schießbude – das hört man einfach auch hier.
Tobias Schuler ist aber nicht der einzige bekannte Gast, der zum Album seinen Teil beigetragen hat. Das Cover-Artwork stammt von Fursy Teyssier (LES DISCRETS), der auch schon das Cover des Debüts gezeichnet hat. Und auf dem wohl verträumtesten Song der Platte „Laniakea Dances (Soleils Couchants)“ leiht der gute Neige (ALCEST) HERETOIR seine unverwechselbaren Screams. Das passt mega gut! Der Song ist sehr ruhig und gefühlvoll und meiner Meinung nach einer der wenigen Lieder, bei dem der Gesang viel mehr im Vordergrund steht, als das Instrumental. Daher hebt sich „Laniakea Dances (Soleils Couchants)“ für mich auch klar von den anderen Songs ab. Während Neige anfangs mit seinem rauen Geschrei stark vorlegt, gibt Eklatanz später seine Glanzleistung in Sachen Clean-Gesang zum Besten. Gänsehaut!
Es ist gar nicht so einfach, generell Highlights aus den elf Tracks herauszupicken, weil das gesamte Werk ein Kracher ist, allerdings stechen neben dem genannten Song noch zwei weitere Titel besonders hervor:
Das ist zum einen „The White“. Die Drumpattern, mit denen die Nummer beginnt, sind anfangs schwer zu verstehen, finde ich. Ich kann schon mitnicken, aber die Struktur klingt irgendwie kompliziert. Das macht die ganze Sache für mich gleich noch ein gutes Stück interessanter und führt dazu, dass ich bewusster höre. Cleangesang und Screams wechseln sich ab, und plötzlich: Ruhe. Aus der Ferne kommen verzerrte Gitarren immer näher und näher, bis hin zu DER Minute, die wohl die dicksten Eier des gesamten Albums hat. Ich würde diese Stelle fast als eine Art Breakdown beschreiben, wie man ihn aus dem Modern Metal/Metalcore kennt. Während es ordentlich aufs Maul gibt, kommt trotzdem ein riesiges Stück Atmosphäre bei mir an. Wie geil der Song einfach ist.
Und da ist zum anderen das Lied, das auf „Golden Dust“ getauft wurde. „Golden Dust“ ist für mich ein Titel zum Augen schließen, Seele baumeln lassen, sich besinnen, nachdenken, über was auch immer. Das Besondere ist, dass anfangs beide Gitarren eher auf mittlerer Tonhöhe gespielt werden, der „Raum“ ist nicht allzu riesig, doch als dann die eine Gitarre verzerrte tiefe Töne ausspuckt, während die andere Gitarre mit Hall beladen ist und in die Höhe geht, öffnen sich gefühlte 100 Türen, um den Raum, der für diese Musik benötigt wird, bereitzustellen. Dabei wird am Schlagzeug immer mehr an Tempo zugelegt. Ganz ehrlich: Das Lied ist der pure Geschlechtsverkehr. Je fortgeschrittener der Song, desto stärker wird gehämmert (in diesem Fall aber hinterm Schlagzeug), und ist der Höhepunkt erreicht, ist erstmal Schluss. 😀
Für mich ist „The Circle“ ein Werk zum Träumen und ein Energiebündel zugleich. Ich bekomme einfach nicht genug davon. Gerade auch, weil es eben nicht so weich gewaschener Post Metal ist, sondern weil auch mal ordentlich gebelzt wird, erhält es eben keinen so schwermütigen Charakter, steht in Sachen Verträumtheit und Melancholie aber trotzdem ganz weit vorn. Absolut belebend, diese Scheibe. Der musikalische Wechsel vom Düsteren hin zum Licht tut HERETOIR mehr als gut. Für mich ist das Album jetzt schon ein Anwärter auf die Platte des Jahres 2017. Großartig!
HERETOIR Bandcamp: hier
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Autorenbewertung
Vorteile
+ viel Abwechslung und Energie, trotzdem keine Einbußen in Sachen Gefühl und Verträumtheit
+ Vocals sind der Kracher
+ mit dem Stimmungswechsel von niederreißend hin zu aufbauend klingen HERETOIR besser denn je
+ Produktion ist sehr ausgewogen
Nachteile
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1 Kommentar
Hey Flo,
Danke dafür! Ich hätte mir das nie angehört. Jetzt bin ich total weggefegt. Absolut cool…
Grüße aus dem Auenland