Deutschland, Deine Festivals – #03: Thüringen

Huch, was ist denn da passiert? Ganz einfach: Meine Serie hat einen neuen Namen bekommen. Kürzer, präziser, einprägsamer – oder kurz: Besser.

Vor zwei Wochen beschäftigten wir uns mit dem östlichsten Bundesland der Republik. Demgemäß kann es dieses Mal nur in eine Richtung gehen – zurück nach Westen. Auch das an die bereits begutachteten Bundesländer Sachsen-Anhalt und Sachsen angrenzende Thüringen bietet eine Vielzahl an Festivals. Doch wie wir bereits gelernt haben, reicht das nicht unbedingt aus, um ein universelles Mekka für Festivalgänger zu werden. Wie sieht es aus: Lohnt es sich in Thüringen, Festivalgänger zu sein?

 

Das Flaggschiff: Party.San Open Air

Ein Festival in Thüringen überragt die kleineren Festival-Geschwister in puncto Größe und Bekanntheit sehr deutlich. Den meisten dürfte das Party.San Open Air zumindest namentlich bereits etwas sagen. Mit jährlich 10.000-12.000 Zuschauern bewegt sich das Festival dabei ungefähr in Größenordnungen des Rockharz Open Air, das ebenfalls als „Flaggschiff“ fungiert, allerdings für Sachsen-Anhalt und nicht für Thüringen. Bedient wird hier jedoch eine ganz andere Zielgruppe, denn mit Heavy Metal hat das seit 1996 bestehende Festival in Schlotheim nur wenig am Hut.

Stattdessen werden hier in erster Linie all jene bedient, die sich am Grindcore, Black, Death und Thrash Metal erfreuen. Dabei werden über dreieinhalb Tage zwei Bühnen bespielt – die Mainstage und die sogenannte „Tentstage“. Zuletzt gaben sich u.a. AT THE GATES, PARADISE LOST, CARCASS, SODOM und EXODUS die Ehre, in den Jahren zuvor waren auch schon KREATOR, BEHEMOTH, CANNIBAL CORPSE, VENOM und LEGION OF THE DAMNED dabei. Wer mit obigen Namen etwas anfangen kann, sollte sich das zweite Augustwochenende freihalten, an welchem das Festival zuverlässig seit unzähligen Jahren stattfindet.

Großer Exot: Stoned From The Underground

Festivals der Sparten Doom, Stoner und Psychedelic findet man wahrlich nicht an jeder Ecke. Umso schöner ist es, dass ein Festival in Thüringen erfolgreich diese Schiene fährt und gut 3.000 Besucher anzulocken weiß. Die Rede ist vom Stoned From The Underground in Erfurt-Stotternheim. Dieses fand zum ersten Mal 2001 statt und geht im Juli 2017 in die siebzehnte Runde. In der diesjährigen Auflage beglückten Bands wie PETER PAN SPEEDROCK, MOTHER TONGUE, BRANT BJORK und SPIRITUAL BEGGARS den Ort am Alperstedter See. Auch EYEHATEGOD hätte spielen sollen, musste allerdings den Gig absagen.

Das Stoned From The Underground ist augenscheinlich nicht gerade ein Festival für jedermann, handelt es sich doch eher um weniger massentaugliche Musiksparten. Für das Zielpublikum des Stoned dürfte das Line-Up dafür umso ansprechender sein.

Musik-Mix mit Sonntags-Aftershow: Gößnitz Open Air

Das Jubiläum zur 25. Festivalauflage feiert 2017 das Gößnitz Open Air in … exakt, Gößnitz. Das Line-Up fällt im Vergleich zu vielen Festivals des Bundeslandes sehr hell und bunt aus. Wir bewegen uns in eher rockigen Gefilden, wobei das Festival einen starken Einschlag in Richtung Folk und Pagan aufweist. Eine strikte Trennung zwischen Bühnen- und Campinggelände gibt es nicht, sodass Essen und Getränke erfreulicherweise mit vor die Bühne mitgenommen werden können.

Die Bandbreite der Bands, die sich im August der letzten Jahre nach Gößnitz begaben, ist erstaunlich: Mit ELUVEITIE, KORPIKLAANI, EQUILIBRIUM, FEUERSCHWANZ, SALTATIO MORTIS, TANZWUT, DIE APOKALYPTISCHEN REITER, KNORKATOR, FIDDLERS GREEN und ARKONA bot das Festival im Laufe der Jahre große Abwechslung im Rahmen des üblichen Spektrums und grenzt sich damit von vielen Festivals ab, die im Zwei- bis Dreijahrestakt immer wieder die gleichen Bands ranschaffen. Ein deutlicher Pluspunkt für das gut 2.000 Besucher starke Festival.

Pagan & Black: Wolfszeit Festival

Ein weiteres Festival ähnlicher Größe, welches eine entspannte Atmosphäre bietet, ist das Wolfszeit Festival in Crispendorf. Dieses Jahr fand das 2000 Besucher starke Festival zum zehnten Mal statt. Ein stolzes Jubiläum und ein großer Meilenstein für eine Veranstaltung dieser Größe. Dies war für die Veranstalter offenbar Grund genug, das zuvor zweitägige Festival auf drei Tage auszuweiten. Dies scheint gut funktioniert zu haben, da man das Wolfszeit Festival 2017 ebenfalls über einen Zeitraum von drei Tagen im August angesetzt hat.

Musikalisch bewegt sich das Festival in einem relativ klaren Rahmen. Zu finden sind hier alle möglichen Bands aus dem Bereich des Black und Pagan Metal. Nicht verwunderlich, handelt es sich beim Veranstalter um niemand geringeren als Philipp Seiler, Sänger und Gitarrist der Band VARG, welche sich selbst mehr oder weniger dem Pagan zuordnen lassen. Dementsprechend ist VARG auch sehr regelmäßig selbst mit von der Partie. Doch auch ohne die Wölfe würde sich ein Besuch lohnen: SATYRICON, HEIDEVOLK, ARKONA, EISREGEN, KORPIKLAANI, ELUVEITIE und ALESTORM – dies ist nur ein Ausschnitt der namhafteren Bands der letzten Jahre. Wer totaler Pagan- und Black-Metal-Fan ist, wird in Thüringen kein besseres Festival finden, um sich die Großkaliber der Subgenres anzusehen.

Zur Hälfte Rock, zur Hälfte Metal: Riedfest Open Air

Traditionell mit Metal eng verbandelt ist auch die Rockmusik. Diesen Umstand nutzt das kleine, mehrere hundert Besucher starke Riedfest Open Air. Während freitags Bands der Bereiche Progressive, Punk, Stoner und Speed Rock das Terrain am Fuße des Thüringer Waldes erbeben lassen, steht der Samstag vollkommen im Namen des Metal. Das Riedfest hat es sich zur Aufgabe gesetzt, den Underground zu unterstützen und sowohl Rock als auch Metal in ihrer komplexen Artenvielfalt zu präsentieren.

Bevorzugt werden hier Death und Black Metal, doch vereinzelt kommen auch Grindcore, Pagan und Death Metal-Bands zum Zuge. Dieses Jahr spielten u.a. Bands wie MASTER, BLUTECK, BUZZ RODEO und THE SILVER SHINE, um die 16. Auflage des Festivals zu rocken. Nächstes Jahr geht die Party weiter: Das 17. Riedfest Open Air ist auf den 28. & 29. Juli 2017 terminiert.

Die „Kurzen“ – Ein-Tages-Festivals: Deaf Row Fest & Rock am Wehr

Für diejenigen, die keinen Bock auf eine mehrtägige Metal-Party haben, bietet die Thüringer Festivallandschaft auch zwei Festival-Quickies. Zum einen ist da das kleine Rock am Wehr in Jena, das sich vor allem am Death Metal bedient. Bei der diesjährigen neunten Auflage am 27.08.2016 durften unter anderem CENTINEX aus Schweden, MALIGNANT TUMOUR aus Tschechien und DARK DESPAIR aus der Schweiz auf dem Festival spielen. Es sind also internationale Acts, welche die Kopfzeile des Flyers säumen.

Kleine Zusatzinformation: Als Winteredition zum R:A:W wird am 18. Februar 2017 erstmalig das Rock Am Wehr – Winterwehr stattfinden. Fünf Bands werden den Besuchern einheizen und einen Vorgeschmack auf das Festival im Sommer geben.

Das zweite Ein-Tages-Festival, welches ich an dieser Stelle beleuchten möchte, ist das Deaf Row Fest, das ebenfalls in Jena stattfindet. Dieses unterscheidet sich allerdings – neben dem Termin im September – in zwei Punkten wesentlich vom erstgenannten „Quickie“. Zunächst einmal handelt es sich hierbei nicht um ein Open Air, sondern um eine Indoor-Veranstaltung, die im Club „Kassablanca“ abgehalten wird. Somit ist man im Gegensatz zum Rock am Wehr mit dem Wetter immer auf der sicheren Seite.

Der zweite wesentliche Unterschied findet sich im Line-Up. Das Konzept des Deaf Row Fests ist es, genreübergreifende Entdeckungen für ein gemischtes Publikum zu schaffen. Die Musik bewegt sich dabei im experimentellen Bereich, sodass sich u.a. Shoegaze, Black Metal, Noise-Pop und Post Metal dort finden lässt. Alles in allem handelt es sich bei der Musik um sehr sphärische Klänge, denen sich die ungefähr 300 Besucher hingeben. Ihr mögt es unkonventionell? Dann macht euch auf nach Jena.

Die Szene stärken! – Culture Shock Festival

Und wir bleiben in Jena! Hier haben sich einige Studenten und Musiker zusammengetan, um mit ihrem Culture Shock Festival die lokale Szene zu stärken und kleineren Bands die Möglichkeit zu verschaffen, mit ein paar größeren Bands zusammen auf der Bühne zu stehen. Das Projekt ist noch jung, scheint sich aber zu halten und geht 2017 (erneut zweitägig) in die vierte Runde.

Gebucht wird dabei grundsätzlich, was den Veranstaltern gefällt – alle Untergattungen von Hardrock, Hardcore und Metal sind hierbei willkommen, wobei man sich beim Metal vermehrt in Gefilden des Death und Thrash Metal bewegt. Dieses Jahr standen u.a. KALI YUGA, VICTIM, GILGAMESH und THE LAST HANGMEN auf der Bühne, im Jahr davor gehörten PATH OF DESTINY, DECEMBRE NOIR, ZERO DEGREE und TRAITOR zu den bekanntesten dort aufgetretenen Bands. Man darf gespannt sein, was für den Oktober 2017 aufgefahren wird.

Noch ganz frisch: Metal Underground Resistance

Noch besonders jung ist das Metal Underground Resistance Open Air, das dieses Jahr im Juli zum ersten Mal stattgefunden hat. Während der Freitag mehr oder weniger als Warm-Up-Tag hinhielt und es nur Musik aus der Dose gab, durften die Besucher am Samstag immerhin sieben Bands lauschen. Bedient wurden dabei vor allem die Genres Metalcore, Melodic Death Metal und Thrash Metal – mit dabei waren WITHOUT WORDS, NESAIA, CTULHU ROADKILL, ERODED ASHES, LUNATIC MAN’S DREAM, WUTHÖLE und ROOM OF INSANITY.

Für die erste Auflage und den Underground-Charakter fanden sich doch relativ viele Leute am Gebörne Garsitz in Königssee ein – immerhin 400 Gäste waren zugegen. Nächstes Jahr soll es weitergehen. Und es wird aufgerüstet: Diesmal wird es auch am Freitag Live-Musik geben, der Samstag wird zudem verlängert. Insgesamt 13 Bands sind diesmal mit an Bord. Ob auch die Besucherzahl in ähnlichem Maß ansteigen wird wie die Bandanzahl?

Chaos und Tod: Chaos Descends Festival & Raging Death Date

Zum Abschluss unseres Ausflugs in das mitteldeutsche Bundesland gibt es noch einmal zwei zweitägige Festivals, die sich der härteren Schiene verschrieben haben. Beginnen wir mit dem Chaos Descends Festival: 2015 als Nachfolger des Hell’s Pleasure ins Leben gerufen, versucht sich das Festival überwiegend mit Buchungen der Richtungen Black, Death und Dark Metal einen Namen zu machen. Immerhin knapp 1000 Leute folgten im Juli 2016 dem Ruf und genossen Beschallung der Marken REVENGE, ARTHUR BROWN, MYSTICUM, PROFANATICA und über einem Dutzend weiterer Bands. Ob es eine dritte Auflage anno 2017 geben wird, steht indes noch nicht fest.

Ganz anders sieht es bei unserem zweiten Kandidaten aus, der bereits angekündigt hat, die Szene 2017 erneut beglücken zu wollen. Das Raging Death Date, welches Ende März die bunte Jahreszeit einläutet und beim einen oder anderen Frühlingsgefühle wecken dürfte, hat die turbulente Anfangsphase mittlerweile hinter sich gelassen und geht im nächsten Jahr mehr oder minder routiniert zum achten Mal an den Start. Musikalisch hält man es „traditionell“ und bedient vor allem Thrash-, Death-, Doom- und Black Metalheads. Auf „Melo, Core und sonstiges ´modernes Zeug´“ wird hier getrost verzichtet, im Gegenzug dafür gibt es die eine oder andere genrefremde Besonderheit. Dieses Jahr waren, neben vielen weiteren Acts, IRON ANGEL, KILL, TÖRR, THE EXALTED PILEDRIVER und ANTLERS mit am Start. In der Regel zieht das Line-Up 300-500 Leute an, die wohl auch beim nächsten Mal erwartet werden dürfen.

 

Die Frage aller Fragen: Lohnt es sich, in Thüringen Festivalgänger zu sein?

Fassen wir zusammen: Ganze elf Festivals sind hier aufgelistet, von denen die meisten im Juli oder August und folglich in der Festival-Hochsaison stattfinden. Mit einem Festival im März, September oder Oktober wird aber auch die Möglichkeit geboten, die Saison früh zu beginnen und spät zu beenden. Die Palette ist bunt: Ein großes Festival und einige kleine Veranstaltungen der härteren Schiene, ein rockig-folkiges Festival, an anderer Stelle Pagan und Folk am Waldesrand und an wieder anderer Stelle experimentelle Musik im kleinen Club.

Was ist denn nun: Lohnt es sich, in Thüringen Festivalgänger zu sein? Für mich ist das eindeutig: Ja, tut es! Die musikalische Bandbreite ist enorm, die Underground-Basis stark und das Angebot an etwas größeren Festivals mit mehreren tausend Besuchern ebenfalls vorhanden. Wo Sachsen beispielsweise ein „weicher“ Ausgleich fehlt, wird dieser hier durch das Gößnitz Open Air geboten, sodass auch thüringische Liebhaber der „helleren“ Genres ein Highlight im eigenen Bundesland genießen können. Dass das Angebot für Fans der extremeren Genres hier riesig ist, muss wohl nicht mehr erwähnt werden. So wie ich das sehe, setzt sich Thüringen vorerst an die Spitze und lässt sowohl das musikalisch etwas einseitige Sachsen als auch das an Festivals quantitativ deutlich schwächere Sachsen-Anhalt hinter sich.

Doch wird sich Thüringen gegen die vielen Bundesländer behaupten können, die da noch kommen? Das wird sich herausstellen. Der nächste Kontrahent im Rennen um das für den Festivalgänger lohnendste Bundesland wartet bereits. In zwei Wochen erfahrt ihr, welches Bundesland ich mir diesmal ausgesucht habe.


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