Zeit für gute Laune! Paddy Wagon Festival 2017
Offenheit. Eine Eigenschaft, die oft propagiert, aber deutlich seltener wirklich gelebt wird. Obwohl mittlerweile zahlreiche Einflüsse verschiedenster Art Einzug in den Metal gehalten haben – von Electro-Spielereien und A-Capella-Projekten bis hin zum Einsatz folkloristischer Instrumente – runzeln doch vergleichsweise viele Szenegänger die Stirn, wenn man einmal über den Tellerrand hinausschauen will und anderen Genres frönt.
Dabei ist der Schritt zum Neuen mitunter gar nicht so groß. Auf vielen größeren Festivals haben sich beispielsweise bereits einige Folkrock-Acts etabliert. Und da ich an diesen mehrfach Gefallen fand, dachte ich mir: wieso nicht einen Schritt weiter gehen? Immer nur dieselben Wege zu beschreiten, ist doch langweilig. So führte mich mein Weg am letzten Septemberwochenende diesen Jahres zum Paddy Wagon Folk Punk Rock Festival im Felsenkeller Leipzig, um zu ergründen, ob ich mich als eingeschworener Metalfan nicht auch bei einem Festival wohlfühlen könnte, das, trotz rockigen Touches, insgesamt weniger harte Töne anschlägt.
Freitag, 29.09.2017: Folk, Punk, Rock …
Arbeit, Workout, Spaziergang mit Omi – alles vor dem Festival machbar! Der Einlass ist schließlich erst für 20 Uhr angesetzt, zur Prime Time quasi. Dieser beginnt mit leichter Verzögerung, was daran liegen könnte, dass die Crew noch zu sehr mit der Running Order beschäftigt war, die in fast schon studentischer „Die Deadline reiz ich aus!“-Manier erst eine halbe Stunde vor dem ersten Auftritt hochgeladen wurde. Macht aber nichts, schließlich habe ich in der Warteschlange, die sich nur quälend langsam vorwärts bewegt, sehr viel Zeit zum Studium des Ablaufplans. Eine ganze Stunde vergeht, bis ich endlich die Eingangsschwelle passiere und mir mein Papierbändchen abholen darf.
Die noch immer große Menschenmenge vor dem Einlass verrät mir indes, dass einige Besucher trotz pünktlichen Erscheinens leider keine Gelegenheit haben werden, die Opener in Action zu erleben. Denn schon in dem Moment, als ich den Konzertsaal betrete, sind THE O’REILLYS AND THE PADDYHATS zugange und bieten dem noch nicht vollzähigen Publikum eine starke Performance. Die gute Laune der Band überträgt sich fix auf jeden Zuhörer, und so verfliegt auch mein Ärger über die Situation am Einlass im Nu. Ganz besonders zur guten Laune trägt der sonnenbebrillte Irokese Ian McFlannigan bei, der sich am auffälligsten präsentiert und nicht nur durch seine Optik zu unterhalten weiß. Neben seinem Job als einer der Sänger, ist er auch derjenige, der die Fahne… nein, das Schild mit den Lyrics hochhalten darf, damit zu „We All Know“ auch der letzte Suffki mitsingen kann. Das geht tadellos auf, und so ist das Publikum nicht nur während dieses Songs, sondern auch zu Titeln wie „Barroom Lady“ oder dem abschließenden Dauerbrenner „Barrels Of Whiskey“ singend und feiernd mit voller Leidenschaft dabei.
Nach dieser geballten Ladung Folk Punk, bei der vor allem die folkige Note dominiert, ist es Zeit, der zweiten Komponente des Festivals – dem Punk – mehr Raum zu lassen. Darum ist es jetzt an LOADED, den Zuschauern einzuheizen. Unterschiede zeigen sich nicht nur musikalisch, sondern auch in der Besetzung. So sind es nicht sieben, sondern lediglich drei Musiker, die sich ins Zeug legen. Dabei erregt insbesondere Schlagzeugerin Julia meine Aufmerksamkeit, denn eine Frau an den Drums ist mehr oder weniger ein „Einhorn“ in der Szene. Oder anders gesagt: eine Seltenheit. Trotz großen Engagements auf der Bühne, kommt die deutlich geschrumpfte Menge nicht so recht in Fahrt. Das mag einerseits daran liegen, dass die Truppe musikalisch deutlich aus dem Billing fällt, da der Folk-Anteil doch stark überwiegt, liegt andererseits aber sicher auch im Sound begründet, der viele Hörer verschreckt. Das Potential der Band lässt sich allenfalls erahnen, jedoch lassen sich ohne Song-Kenntnis nur schwer einzelne Songs (oder Lyrics überhaupt) in dem Klangbrei ausmachen. Mensch Meier, warum denken immer alle, man müsse den Zuschauern das Gehör wegballern, damit das Konzert geil wird? Manchmal ist weniger (Lautstärke) mehr. Das gilt ganz besonders in geschlossenen Räumen.
Zum Auftritt des heutigen Headliners, FIDDLER’S GREEN, bessert sich die Lage glücklicherweise deutlich. Als die populäre Bande mit 15-minütiger Verzögerung ihr Konzert beginnt, zeigt sich schon mit den ersten Tönen, dass es ein wunderbarer Gig werden wird. Es dauert nicht lange, bis der erste, kuschlige Pit entsteht und sich der Raum vor der Bühne in eine einzige Party verwandelt. Mit schnellen Nummern wie „Down“ oder dem kultigen „Yindy“ wird die Menge, aus welcher einige „Paddyhats“ (hierzulande besser bekannt als „Schiebermützen“) emporragen, in beste Stimmung versetzt. Während des über eine Stunde andauernden Sets lässt das Publikum zu keiner Zeit nach und bleibt stets in Bewegung. Ein besseres Publikum kann man sich kaum wünschen! Das Set vergeht wie im Flug, sodass nach zahlreichen Klassikern wie „Old Dun Cow“ und „Mr. Tickle“ sowie dem „Smoke On The Water“ entlehnten Geigen-Solo das abschließende „Folk’s Not Dead“ ertönt. Da der ÖPNV es nicht zulässt, dass ich mir das Konzert bis zur letzten Minute ansehe, wende ich mich während dieses Songs zum gehen. Doch meine Anwesenheit ist nicht mehr nötig, um zu wissen, dass die Band unter tosendem Applaus verabschiedet werden wird.
Samstag, 30.09.2017: … und eine Prise Ska!
Nach einer ausgiebigen Mütze Schlaf, für die der abermals gemütlich späte Einlass um 17 Uhr glücklicherweise genügend Raum lässt, bin ich pünktlich wieder in Leipzig, um ja nichts zu verpassen. Eine Wiederholung des Einlass-Desasters vom Freitag bleibt glücklicherweise aus, sodass ich ohne langes Anstehen in den Saal gelange. Gegen 18 Uhr eröffnen die Italiener NH3 den zweiten Festivaltag. Die Band, die ursprünglich nicht Teil des Billings war, rückt für THE PORTERS nach, die aufgrund stimmlicher Probleme ihren Gig absagen mussten. Doch was ich nun höre, gefällt! Nach der gestrigen Folk/Punk-Mischung, wird das Billing heute um eine ordentliche Portion Ska erweitert. Die Truppe, die ihre Musik selbst als Ska/Core bezeichnet, lockt mittels großzügigen Trompeten- und Saxophon-Einsatzes schon mehr Menschen vor die Bühne, als ich um diese Zeit erwartet hätte. Hie und da beginnen die Zuschauer zu tanzen. Vor der Bühne bildet sich zwar der gefürchtete „Frankfurter Halbkreis“, doch angesichts des bereits halbvollen Saals tut das der lockeren Stimmung keinen Abbruch. Die Truppe passt hervorragend in das Programm und bereichert dieses um eine weitere Facette.
Anfangs etwas sanfter als die Vorgänger präsentieren sich die Kollegen von THE MOORINGS. Der entspannte Folk aus französischem Hause lässt die Gemüter zunächst etwas runterkühlen, legt im zweiten Teil des Sets aber noch einmal deutlich an Tempo zu. So erreicht die Gruppe viele Zuschauer und ist dazu imstande, mitsingende Zuschauerchöre aus der Masse zu mobilisieren. Auch bei der nachfolgenden Band, die dem anderen Ende Europas entspringt, reißt die Beteiligung des Publikums nicht ab. „Ska Punk Moscow“ ziert das Backdrop von DISTEMPER. Das Blechblas-Trio aus Posaune, Trompete und Saxophon sowie die raue Stimme des Frontsängers vereinen sich zu einer packenden Mischung, die die Besucher abermals abzuholen weiß. Und wer sich nicht an die Musik erinnert, wird zumindest das Maskottchen, den Wolfshund, nicht vergessen, der pausenlos auf der Bühne feiert und sogar eine kleine Reise durch die Crowd unternimmt. Ich bin erstaunt ob des Durchhaltevermögens der Besucher, die immer noch voll bei der Sache sind. Das wird stickig hier drin, wenn die sich weiter so ins Zeug legen und ins Schwitzen kommen!
Nicht, dass die Stimmung bei Metal-Festivals schlechter wäre als hier. Doch sie ist anders. Wo die „Metaller“ insbesondere durch ihre enorme Freundlichkeit über die Genregrenzen hinaus bekannt sind, so fallen die Folk-Fans durch ihre unermüdliche Bereitschaft auf, sich zur Musik zu bewegen und stets Entspannung und Heiterkeit auszustrahlen. Überschneidungen beider Gruppierungen sind im Übrigen zweifelsohne vorhanden, wie mir die zahlreichen Shirts verraten, die hier spazieren getragen werden. Ob Hörnerfest, Summerbreeze, Metal Frenzy, Rockharz, Metalfest oder auch Merch von ALESTORM und CROWBAR: schwarzgekleidete Menschen sind hier zumindest keine Seltenheit.
All diese Menschen könnten Gefallen an der Truppe finden, die um 21.20 Uhr noch einmal Stimmung für die beiden Headliner macht. Schließlich besticht die ungarische Truppe PADDY AND THE RATS nicht nur durch spaßigen Celtic Punk, sondern setzt dabei auch als erste Band auf dominanteren E-Gitarren-Einsatz. Selbstverständlich bin ich sofort Feuer und Flamme und erfreue mich an der Musik, die eine stark rockige Note beinhaltet. Ein kleines Highlight stellt die „Drunken Sailor“-Version der Band dar, bei der natürlich fast jeder im Raum mitsingen kann. „Fast jeder“ bedeutet in diesem Zusammenhang „fast der ganze Raum“, denn mittlerweile verschwinden die Lücken im Zuschauerraum. Der Saal ist gut gefüllt, das Festival scheint sich zu einem vollen Erfolg zu entwickeln.
Zu früh gefreut?
Doch als hätte irgendeine böse Macht meine Gedanken gelesen, wendet sich das Blatt, als mit THE RUMJACKS der erste Headliner des Abends zu spielen beginnt. Die Moral von der Geschicht‘ direkt vorweg: wenn ihr ein Festival veranstaltet, besorgt euch unbedingt einen Dezibelmesser. Denn das, was in den nächsten zweieinhalb Stunden auf die Besucher zukommt, ist nicht mehr feierlich. Dauerndes Übersteuern, Soundbrei, dumpfes Dröhnen und eine ohrenbetäubende Lautstärke. So mancher Gast findet den Weg zum Soundmann, der aber nicht viel mehr als ein Schulterzucken und resignierendes Stirnrunzeln zu bieten hat. Tonmann zu sein, ist immer eine undankbare Aufgabe – heute Abend ganz besonders. Unter den gegebenen Umständen ziehe ich mich in die Vorhalle zurück – viele andere finden darüber hinaus den Weg nach draußen, um den Klängen aus der Halle vollständig zu entgehen – um von dort aus zuzuhören. Hier dudelt die Musik nebenbei und hält mich einigermaßen bei Laune. Die Band scheint trotz der suboptimalen Umstände ihren Spaß zu haben. Immerhin.
Zum Auftritt von THE REAL MCKENZIES, der mit 25 Minuten Verzögerung beginnt, wird es nochmal voll im (mittlerweile wirklich heißen und stickigen) Saal. Die Kanadier sind verdammt gut drauf und gehen auf der Bühne richtig ab. Die Stimmung ist zunächst gut, und trotz allmählich auftretender Ermüdungserscheinungen beim Publikum (wurde auch Zeit, die müssen doch auch mal kaputt sein!), herrscht insbesondere im vorderen Drittel des Saales noch Tanzstimmung. Leider kann dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Sound, trotz des Anscheins der Besserung zu Beginn des Gigs, noch immer ein großes Manko darstellt. Insbesondere die Dudelsack-Passagen, die unter normalen Umständen dem Ohr geschmeichelt hätten, sorgen für schmerzverzerrte Gesichter. Es verwundert daher nicht, dass sich der Raum immer schneller leert und sich viel Frust und Hohn der Besucher vor dem Verlassen des Saals am Mischpult entlädt. Die Band macht einen guten Job und die Fans in den ersten Reihen feiern, doch meine Laune bleibt getrübt. Zeit zu gehen.
… doch nicht, ohne noch einmal bei der Aftershow im Naumanns vorbeizuschauen, das von der Vorhalle im Felsenkeller direkt erreichbar ist. In dem kleinen Raum spielen nun DR. BONTEMPI’S SNAKE OIL COMPANY. Moment mal… das ist doch Country! Mir klappt die Kinnlade auf, und eine Mischung aus Überraschung und fassungsloser Freude lässt sich aus meinem Gesicht herauslesen. Okay, eher letzteres, schließlich kriege ich das Grinsen nicht mehr aus meinem Gesicht. Country mag nicht meine bevorzugte Sparte sein, aber Stil hat das allemal! Ein witziger Abschluss, mit dem ich so sicher nicht gerechnet hätte.
Fazit: Paddy Wagon & Metalfans – Kompatibel?!
Das Paddy Wagon Festival, welches dieses Jahr zum ersten Mal in Leipzig stattfand, glänzt mit einem starken Billing voller internationaler Acts. Die bunte Mischung aus Folk, Punk, Rock und Ska lässt dabei keine Langeweile aufkommen. Besondere Stärke des Festivals ist die unermüdliche, vergnügte, Frohsinn verbreitende Zuschauerschaft, deren Laune unheimlich ansteckend ist. Obgleich weniger hart auf das Schlagzeug eingedroschen und die Gitarrensaiten selten bis zum Zerreißen gequält werden, haben doch die meisten Künstler einiges in petto, um auch eingeschworene Metalfans bei Laune zu halten.
Hat das Festival auch seine Schwächen? Ja, na klar. Während die stickige Luft im Saal noch zu verschmerzen ist, da mit diesem Problem eigentlich jedes kleinere Indoor-Festival zu kämpfen hat, gibt es in puncto Organisation noch Steigerungsmöglichkeiten. Dass die Running Order erst eine halbe Stunde vor dem Auftritt der ersten Band online einsehbar ist, darf nicht passieren. Ebenso muss die Einlasssituation am ersten Festivaltag verbessert werden, da dieses Jahr nicht alle Zuschauer dem (vollständigen) Set der Opener beiwohnen konnten – zum Leidwesen der Zuschauer und der Band, die vor halber Mannschaft spielen musste. Zuletzt muss dringend ein Schallpegelmessgerät angeschafft werden. It’s not loud enough – said no one ever!
Letztendlich überwiegen die Pros jedoch deutlich die Cons. Allein schon der fantastischen Stimmung und der überzeugenden Bandauswahl wegen würde ich das Folk Punk Rock Festival in Leipzig wieder besuchen. Jeder, der an Auftritten von KORPIKLAANI, FIDDLER’S GREEN oder FEUERSCHWANZ Gefallen findet, sollte auch dem heiteren Treiben auf dem Paddy Wagon Festival unbedingt eine Chance geben. Das Debüt in Sachsen war erfolgreich. Möge eine Fortsetzung folgen!
Unser Dank für die Fotos geht an Bennis Pogocam!
Bennis Pogocam findet ihr bei Facebook!
Das Paddy Wagon Festival ist im WWW sowie bei Facebook zu finden.
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