Zwischen zwei Welten – Metal in der Kleinstadt

Tachchen, mich quält seit Langem eine Frage …

Um ehrlich zu sein, weiß ich eigentlich gar nicht, was ich genau fragen, oder was ich hören will.

Und deswegen zum Anfang ein paar Infos über mich: Ich bin weiblich, werde dieses Jahr noch 19 und schließe gerade mein Abitur ab. Mein „Problem“ (ich nenne es mal so) ist, dass ich “in zwei verschiedenen Welten lebe”. Der alltäglichen in einer Kleinstadt und in der des Rocks/Metals.

Lunzenau – eine spießige Kleinstadt, die überall sein könnte. Pic by André Friebel

Das Problem hierbei ist, dass ich die beiden Teile meines Lebens nicht in Einklang bringen kann und langsam aber sicher ein Entscheidungsdruck auf mir liegt. Ich muss mich für einen Job und eine Lebensweise entscheiden. Dazu muss ich sagen, dass ich nicht das Äußere eines Metallers habe. Das hatte ich damals mit 16, ich ging als ausprobierendes Mädchen sogar kurzzeitig in Richtung Punk. Doch die Meinungen meines engeren Umfeldes führten letztlich dazu, dass ich es sein ließ. Keine bunten Haare mehr, keine Bandshirts, kaputten Strumpfhosen oder Springer. Sogar meine relativ harmlosen Ketten rührte ich nicht mehr an. Es ist nicht so, dass meine Familie oder meine Freunde mich nicht akzeptiert hätten. Ich wurde auch nicht von meiner Stufe oder Schule gemobbt.

Metal-Girl oder lieber angepasste Tussi? Pic by Andrey Kiselev

Doch ich war “allein” mit meiner Musikliebe und die Ferien, in denen ich mit dem Zug immer in größere Städte fuhr, reichten mir auch nicht als Ausgleich. Auch stieß ich trotz allem auf teilweises Unverständnis für meine Begeisterungen und mir wurde von meinen Besten zum Beispiel „verboten“, mir in ferner Zukunft mal ein Augenbrauenpiercing stechen zu lassen. Sie fanden es schlicht und ergreifend nicht schön. Der schönste Kommentar, den ich bekam (es blieb zum Glück auch nur bei dieser Person) war, dass sie mir mein Septum rausreißen würde, falls ich mir eins stechen lassen sollte. Solche Ansichten liegen vielleicht in der Erziehung, aber ich verfasse nicht diesen Text, um die Verhaltensweisen meiner Freunde zu analysieren. Es war zu wenig, die Gespräche mit meinen engsten Freunden in meiner Kleinstadt wurden immer beschwerlicher, da wir andere Interessenschwerpunkte hatten. Noch heute fällt es mir schwerer, als es eigentlich sollte.

Ich bin inzwischen verwirrt

Ich dachte, ich hätte mich aus freien Stücken gegen den Rock entschieden, um in der „normalen“ Welt eine unbeschwerte Zukunft zu haben. Im letzten Satz hört es sich allerdings schlimmer an, als es eigentlich ist. Ich hörte so zum Beispiel nicht auf, meine Lieblingsbands zu hören und Festivals fieberte ich noch immer mit einem Feuer entgegen, das ansonsten nur schwer in mir geweckt werden kann.

Rainshine – Wacken 2012

Und doch vermisste ich meine alte Lebensweise

Ich traue mich aber gleichzeitig nicht, mir Piercings oder Tattoos zu stechen. Ich habe Angst einen Fehler zu tun, den ich für immer auf meinem Körper in Form einer Narbe sehen kann und womit ich mir missbilligende Blicke einfangen könnte. Eigentlich hätte ich von mir nicht erwartet, dass ich ein solcher Angsthase bin. Ich bin die, die sogar noch lauter als die Kerle grölt, nur Pils trinkt und gerade mal mit meinen 1,67 Meter irgendwie im Pit überlebt (das kann echt schwer werden, ich bin, warum auch immer, ein Magnet für Kanten und Wikinger auf jedem Konzert. Vor mir steht immer eine undurchdringliche Mauer und ich sehe nur beschwerlich die Band). Aber ich fühle mich inzwischen unwohl auf solchen Events und in Umgebungen, bei denen ich Metaller sichten kann. Ich weiß nicht woran es liegt. Vielleicht will ich es unbewusst auch gar nicht wissen. Es könnte nämlich sein, dass ich es doch mehr vermisse als ich eigentlich möchte.

Ja, nein, ich mein … jein

Gefühlszombie. Pic by Andrey Kiselev

Naja … wie ich bereits am Anfang des Textes erwähnt habe, weiß ich nicht wirklich, was ich wissen will. Es ist ein Konflikt, bei dem ich Angst vor dessen Ergebnis habe. Vor zwei Wochen habe ich mir meine Haare wieder dunkellila getönt. Ich wusste nicht, wie ich das vermisste. Und wie wohl ich mich danach mit meinen Haaren gefühlt habe, kann ich gar nicht in Worte fassen! Auch das viele Metall, dass ich in meinen Ohren habe, fühlt sich nicht falsch an. Doch hatte ich nie richtig Anschluss an Rocker und Metaller, weiß nicht, ob mir diese Welt überhaupt gefällt, wenn sie in meinen Alltag eindringt. Vielleicht sollte ich es einfach wagen. Aber selbst wenn ich mich dazu entschließen würde, habe ich nicht den leisesten Schimmer, was ich dann machen muss und was dieses „es“ eigentlich ist.

Tätowiert & Metal(l) im Ohr = Seriös? Pic by Andrey Kiselev

Das hört sich jetzt vielleicht zu einfach an, aber ich sehe nur einen Lösungsweg: ich werde zunächst meine Haare gefärbt lassen, auf diverse Festivals aber auch in Discos gehen, beide Seiten ausprobieren und erleben. Ich werde für mich Kompromisse eingehen müssen, die mein Leben bestimmen werden. Und dann muss ich mich selber betrachten, wo und wann ich am meisten gelacht habe und glücklich war. Denn das ist doch das, wonach man strebt und was man erreichen sollte. Und dann werde ich hoffentlich nicht nur eine Lösung finden, sondern auch meine Frage verstehen.

[Anm.d.Red.: Liebe Freunde der gepflegten Unterhaltung! Kiki’s Text kam leider ohne Bilder, weswegen ich da ein wenig nachgeholfen habe. Nein, es geht nicht um die Stadt Lunzenau! Lunzenau steht als Synonym für alle kleinbürgerlichen und weltfremden Spießerkaffs, die man alle bedenkenlos zuscheißen könnte. Und warum Wacken als Titelbild? Wacken nun wieder steht für alle Metal-Festivals, wo den Leuten deine Herkunft, dein Aussehen und dein sozialer Status so was von egal ist. Was hier zählt, ist der Mensch. Denn, wer will denn schon mit Arschlöchern feiern! Vielleicht könnt ihr Kiki bei ihrer Selbstfindung ein wenig helfen, bzw. seid/wart ihr in einer ähnlichen Situation und wie habt ihr sie gemeistert? Peace & love, euer Renè!]

 Bilder mit freundlicher Genehmigung von Andrey Kiselev, André Friebel, billboard.com, Spiegel Online & Wacken


Dies ist ein Gastautorinnen-Beitrag von: Kiki Frech



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