15 Jahre Metal, Madness, Maggots – Slipknots „Iowa“

Würden Corey Taylor, Shawn Crahan, Chris Fehn, Mick Thomson, James Root, Paul Gray, Craig Jones, Joey Jordison und Sid Wilson in einer Bar arbeiten und man verlange den härtesten Drink der Karte, so wäre dessen Name vermutlich „Iowa“. Was diese neun Herren tatsächlich unter besagtem Titel servieren, kann sich jeder, der entsprechend hart gesotten ist, seit dem 28. August 2001 anhören. Das Ergebnis monatelanger, psychisch zermürbender Studioarbeit. Ein Album, das sowohl revolutionierte, als auch schockierte, da es so dunkel und hasserfüllt anmutet, dass nicht mal der Teufel selbst es in einem Anlauf ganz durchhören könnte. Slipknots „Iowa“ gleicht einem Tagebuch der Trübsal, einem akustischen Amoklauf, wenn man so will, und entführt den Hörer in die Gedanken einer psychotischen Band, die es schaffte, in einer Phase voller Depression und Drogenmissbrauch ihren Hass auf alles und jeden in Kreativität zu wandeln.

Doch was steckt eigentlich hinter „Iowa“ und der Naturgewalt SLIPKNOT selbst?

Die Band

SLIPKNOT ist eine der erfolgreichsten und abgefahrensten Bands der heutigen Zeit. Mit einer 2 Demos, 5 Studio-, einem Live- und einem Best Of-Album umspannenden Diskografie, einem eigenen Festival und atemberaubenden Liveshows, mauserten sich Corey Taylor und Co. von den kleinen lokalen Newcomern zu Legenden – ja sogar zu einer Art Kultur, sofern man Shawn Crahans Worten Glauben schenken darf. Dabei begann die Karriere der Masken-Metaller relativ normal. Gründung, ein paar Auftritte in örtlichen Veranstaltungsstätten, erstes Demo, personelle Umbesetzungen. Also nichts, was nicht jede Band durchläuft. Dabei hatten Slipknot sogar anfangs noch Probleme mit einer lokalen Radiostation in ihrem Heimatort Des Moines, Iowa, da deren Mitarbeiter das Neunergespann nicht leiden konnten und sich weigerten, das Demo der Gruppe auf ihrem Sender zu spielen. Einige Zeit später wurde dieser Konflikt im Song „Spit It Out“ thematisiert. Nachdem Corey Taylor 1997 dazugestoßen war und während der Aufnahmen zum ersten Album Gitarrist und STONE SOUR-Kollegen Jim Root ins Boot holte, hatte sich eine erste stehende Besetzung eingependelt, die erst 2010 mit dem Tod des Bassisten und Gründungsmitglieds Paul Gray brechen sollte.

Nach den recht experimentellen ersten zwei Alben „Slipknot“ (1999) und „Iowa“ (2001), entwickelte die Band nach und nach einen eigenen Stil, der für den Nu Metal, dem SLIPKNOT oft zugeschrieben werden, eigentlich zu hart ist (die Band selber sagt, sie spiele „Metal-Metal“). Sie überführten diesen in die beiden folgenden Alben „Volume 3: The Subliminal Verses“ (2004) und „All Hope Is Gone“ (2008). Charakteristisch hierbei ist, dass die Balladen dieser Scheiben – bei denen sich viele damalige Fans entrüstet abwandten – aus der eigentlichen Gangart der Masken-Metaller herausfallen, jedoch bei mehrmaligem Hören die Kompetenz und das Feingefühl SLIPKNOTs aufzeigen. Mit der Neubesetzung an Bass und Schlagzeug veröffentlichte die Band 2014 ihr bisher letztes Studioalbum „.5: The Gray Chapter“, welches mit ziemlich gelungenen, wenn auch sterilen, Brettern aufwartet. So gut die Musik auch sein mag, gemütliche Studioarbeit oder Massentauglichkeit à la ONE DIRECTION waren bei SLIPKNOT jedoch von Anfang an nie vorgesehen. So wurde der damalige Drummer Joey Jordison bei den Aufnahmen zum Debütalbum mit Blumentöpfen beworfen. Dieser sagte auch 2011 im Interview mit dem Magazin Kerrang!, dass SLIPKNOT schon immer das getan hätten, was man von sonstigen Bands nie erwartet hätte. Aber warum? Vielleicht um gerade Massentauglichkeit vorzubeugen? Um der Kunst willen? Hinsichtlich des Phänomens SLIPKNOT wird die Antwort wohl eher Letzteres sein. Eine Band, die den Fokus derartig auf das Auftreten legt, wird wissen, dass sie damit gewisse Menschen anspricht, aber auch abschreckt, und möglicherweise gerade so ihre Fangemeinde gewonnen hat. Und natürlich dadurch, dass sie einen Hass auf alles und jeden vermitteln – dies jedoch so mitreißend verpackt, dass die Hörer nicht anders können, als im Takt ihre Nacken zu malträtieren.

Woher genau kommt also der Erfolg?

Eine recht interessante Theorie hierzu lautet, dass SLIPKNOT mit gerade diesem Hass auf Alles und Jeden die innersten Konflikte im Menschen (Konkurrenz, Ekel, Hass, Liebeskummer, etc.) behandeln würden und den Hörern somit, wenn auch teils unbewusst, aus der Seele sprächen.

Hierauf wäre dann auch die Beständigkeit der Fan-Demografie zurückzuführen, welche Shawn Crahan, im Interview mit dem Radiosender Full Metal Jackie, dazu veranlasste, SLIPKNOT als „Kultur“ zu bezeichnen.

Das markanteste Merkmal sind jedoch die Masken, welche unmittelbar mit SLIPKNOT in Verbindung stehen. Ursprünglich wählten Shawn Crahan und Joey Jordison das Masken-Konzept, um die Musik, und nicht die Musiker, in den Vordergrund zu rücken, da sie so eine gewisse Privatsphäre hatten und lange Zeit tatsächlich mehr oder weniger anonym auftraten. Jedoch regte sich immer wieder Protest von der ebenfalls maskierten Band MUSHROOMHEAD, welche sich etwa zeitgleich mit SLIPKNOT gründete, ähnliche Musik spielte und nie ganz aus dem Schatten des Neunergespanns aus Iowa herauskam. Es entstanden unter dem Vorwurf des Ideenklaus immer wieder Konflikte zwischen beiden Bands.

Es lässt sich also definitiv sagen, dass SLIPKNOT eine Band wie keine andere ist und nicht nur durch ihren Erfolg an sich Respekt verdient hat, sondern auch dafür, dass sie diesen Erfolg, trotz einschneidender Umbesetzungen, welche jedoch die Qualität der Musik in keinerlei Hinsicht beeinflussten, bis heute fortsetzt.

Slipknot 1999: (hinten v.l.n.r.) Shawn Crahan, Jim Root, Paul Gray, Joey Jordison, Craig Jones, Chris Fehn, Mick Thomson; (vorne v.l.n.r.) Corey Taylor, Sid Wilson

 

Das Album

Während die Mitglieder der Gruppe sich aus diversen Gründen sogar gegenseitig anfeindeten und auf der Band hoher Druck lastete, einen würdigen Debütnachfolger zu schaffen, ließen SLIPKNOT, auf Anweisung des Produzenten Ross Robinson, ihren Gefühlen freien Lauf und kreierten ein vertontes Monster. Aber nicht nur das Album selber, sondern schon das Drumherum sorgte für Aufsehen, da die Band noch vor Albumrelease die Single „The Heretic Anthem“ in einer auf 666 Stück limitierten Auflage veröffentlichte. Taylors markanter Scream, der die Platte dominiert, reicht schon a cappella, um festzustellen, wie zerstört die menschliche Psyche sein kann. So finden sich hier Texte, wie z.B. „People Equal Shit“ (dt. „Menschen gleichen Scheiße“) oder auch „Fix my problems with the blade“ (dt. „Löse meine Probleme mit der Klinge“). Jedoch ist es im Endeffekt das Gesamtpaket, welches verstört. So eröffnet mit „515“ (hier wird mit der Telefonvorwahl des Heimatstaates der Band Bezug auf Iowa genommen) ein unstetes Rauschen und Fiepen das Album, welche hin und wieder eine „death„-schreiende, krächzende Stimme durchsickern lassen. Daraufhin wird ab „People = Shit“ bis zum vergleichsweise ruhigeren „Gently“ so roh durchgeknüppelt, dass Omas, Mütter, kleine Geschwister und Geistliche schneller Reißaus nehmen, als man selbst merkt, in welch vertonten Höllenschlund man sich begeben hat. Mit „Left Behind“ nehmen SLIPKNOT wieder Fahrt auf und lassen das Werk am Ende im viertelstündigen Desaster „Iowa“ enden, welches mit mal ruhigen, mal harten Passagen für ordentlich Gänsehaut sorgt. Bis dass der letzte Ton verklingt …

Wut, Abschottung und eine Kampfansage an die Popmusik sind nur ein Bruchteil der Themen, die auf „Iowa“ verhandelt werden. Vielleicht macht aber auch gerade das die Besonderheiten, den Erfolg, ja vielleicht sogar den Charme „Iowas“ aus: die pure Perfektion anhaltender Depression.

Slipknot 2014: (hinten v.l.n.r.) Sid Wilson, Mick Thomson, Corey Taylor, Jim Root, Chris Fehn, Shawn Crahan; (vorne v.l.n.r.) Alessandro Venturella, Craig Jones, Jay Weinberg (Bildquelle: Guitar Planet)

Die Faktoren

Selbsthass: Corey Taylor gab 2015 im Interview mit dem Metal Hammer an, er hätte nur noch „gefressen und gesoffen“ und dies seien die einzigen Dinge gewesen, die ihn glücklich gemacht hätten, auch wenn es ihn zugleich nervte.

Eine nur spärlich funktionierende Bandgemeinschaft: Mick Thomson beschwerte sich mehrfach über die aufkommende „Sex, Drugs, Rock’n’Roll„-Einstellung und feindete seine Bandkollegen dafür massiv an.

Private Probleme: Taylor befand sich, nach eigener Angabe gegenüber dem Metal Hammer, in einer unglücklichen Beziehung. Zudem verlor DJ Sid Wilson kurz vor den Aufnahmen seinen Großvater.

Drogenmissbrauch: Jim Root verfiel einer Reihe von Rauschmitteln und entwickelte eine Abhängigkeit, die er jedoch heute los ist.

Dazu kamen die Bedingungen im Studio. Ex-Drummer Joey Jordison erzählte 2011 im Interview mit dem Magazin Kerrang!, die Aufnahmen seien „völlig außer Kontrolle“ gewesen und hätten darüber hinaus nackt und in einem viel zu engen Raum stattgefunden, was vermutlich nicht unwesentlich zur geistigen Verfassung der Mitglieder beitrug. Die Arbeit an „Iowa“ könnte man also, von der Anforderung an die Psyche der Musiker her, wohl eher mit einem Aufenthalt in einem militärischen Erziehungslager, als mit gemütlichen Studioaufnahmen mit den besten Freunden und Kollegen vergleichen. So soll Frontmann Corey Taylor (der die „Iowa“-Zeit in der Doku „Goat“ als „härteste und schwärzeste Phase seines Lebens“ bezeichnete) während der Aufnahmen mehrfach von Suizid gesprochen und sich selbst verletzt haben, um das Maximum seiner Leistung zu erreichen. Zudem ließ er sich mit heißem Kerzenwachs bespritzen. Dennoch sagte Joey in „Goat“, dass alle noch so zermürbenden Aspekte der damaligen Zeit „Iowa“ überhaupt erst zu dem gemacht haben, was es ist.

Shawn Crahan fügte dem an, „Iowa“ sollte das krasseste Werk überhaupt werden, das man veröffentlichen könne, ohne dass die Band weggesperrt werden würde.

 

Die Bewertung

Ich höre SLIPKNOT seit einiger Zeit sehr gerne, da sie abwechslungsreich und einfach unheimlich talentiert sind. „Iowa“ markiert eine tiefe, kaputte Schlucht in der Diskografie der maskierten Metaller, ist jedoch mitreißender und für mich 100 Mal gelungener, als jede noch so massentaugliche Popballade und wird daher in meinem Plattenregal vermutlich noch lange Zeit unter „H“ für „Herzblatt“ stehen, da SLIPKNOT bei ihrem Zweitling dort ansetzen, wo andere Bands aufhören. An den Grenzen jeglicher Leistung. Perfekt für die, denen das Extreme nicht extrem genug ist, die sich als Neueinsteiger ein Bild von SLIPKNOT verschaffen oder ihre Nachbarn einfach mit noch Härterem als den üblichen, verhältnismäßig trägen, Songs von HEAVEN SHALL BURN oder SUICIDE SILENCE ärgern wollen. Den Leuten, die sich mit dem Thema „Iowa“ mehr beschäftigen wollen, empfehle ich die oben erwähnte Doku „Goat“, welche die Mitglieder SLIPKNOTs die Zeit der Aufnahmen reflektieren lässt.

Bewertung: 666 von 666 Maden im Speck.


Dies ist ein Gastbeitrag von: Erik Müller


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