Core Classics #26 – Attack Attack!

Hier bekommt ihr eure wöchentliche Dosis an Core-Alben mit Legenden-Status. Viele Vorurteile gegenüber dieser Musikrichtung konnten ja bereits schon ausgelöscht werden. Und genau deswegen gibt es jetzt auch diese Kolumne, denn ich kann sie schreiben und mich danach immer noch auf die Straße trauen!

ATTACK ATTACK! – Someday Came Suddenly
Veröffentlichungsdatum: 11.09.2008
Länge: 30:24 Min.
Label: Rise Records

Wenn es ein Genre gibt, das vom Durschnitts-Metaller mehr gehasst wird als Pop, dann ist das wohl EDM und viele andere Unterformen von elektronischer Musik. Zum Teil zu Recht wird den Fans attestiert, nur für Party, Drogen und Sex in die Clubs zu gehen und diese Musik zu genießen. Jedes Konzert läuft in der Vorstellung eines Metal-Fans gleich ab: Eine wabernde Masse bewegt sich voll von Lust und Ecstasy-Tabletten zu herzlosen Beats, die die auf Höhepunkte geiernden Halbstarken in Trance versetzen. Verglichen mit den gegen Metalcore auftretenden Vorurteilen lassen sich einige Parallelen ziehen.

Die Highlights, auf die die Generation Smartphone hier wartet, sind die Breakdowns und die lyrischen Stilmittel, welche allerdings so ausgelutscht sind, dass sie bei vielen Bands austauschbarer nicht sein könnten. Es geht den Sängern so oft um Liebe, Enttäuschung, Selbstzweifel, Kapitalismuskritik und übertriebenem Atheismus, beziehungsweise dem genauen Gegenteil davon, dass der Vorwurf im Raum steht, flache und vereinheitlichte Musik zu machen. Die Sättigungserscheinungen von Metalcore und elektronischer Musik zu vereinen, dürfte folglich einen der größten Shitstorms der modernen Metal-Szene auslösen. Und genau diese Kontroverse nutzten Electronicore-Bands aus, wobei es heute um die Speerspitze dieser Bewegung geht. Die Kombination aus Keyboard-Solos, Breakdowns und simplen Synthesizern war ihnen jedoch nicht genug. ATTACK ATTACK! sind neben ihrer Musik auch für Drama bekannt.

So schied das Gründungsmitglied Austin Carlile bereits 2008 aus der Band aus und stellte sich mit OF MICE AND MEN eine weitere erfolgreiche Metalcore-Truppe zusammen. Als diese jedoch seinen 180-Grad-Wechsel zu religiösen Texten und noch weicherer Musik nicht mitmachen wollten, wurde die nach einem Buch benannte Gruppe die nächste, die Austin verlassen musste. Bei der Band, um die es heute geht, füllte dann Gabe Barham die Lücke, die Austin hinterließ. Dieser hielt kaum ein Jahr durch, ehe er sich freiwillig von der Band trennte. Sein Ersatz bei ATTACK ATTACK! war niemand anderes als die heutige Besetzung der Einmannshow BEARTOOTH. Der 2008 dazugestoßene Keyboarder Caleb Shomo übernahm die Pflichten des Sängers jedoch auch nur bis 2012 und das läutete den endgültigen Abschied ein. Trotz einem weiteren neuen Gesangstalent namens Phil Druyor (I AM ABOMINATION), einer Single und etlichen Studio-Updates blieb Album Nummer vier nur ein Traum. 2013 gingen die Lichter endgültig aus und wer weiß schon, wie viele Scenesterherzen dadurch gebrochen wurden.

Mal ganz davon abgesehen, dass in der Besetzung der Band eindeutig der Wurm drin war – schließlich verließ auch der Gitarrist Johnny Franck die Band 2010 – dürfte die Musik kaum noch unorigineller sein. Auf der Erfolgswelle von CONFIDE, ASKING ALEXANDRIA und Co. ritten auch diese US-Amerikaner mit. Sie verschärften ihren Drang zum Auffallen auch noch durch die Wortschöpfung „Crabcore“. Damit wurden die krabbenartigen Bewegungen zum Rhythmus der Breakdowns in ihren Videos beschrieben. ATTACK ATTACK! verwandelte diesen Scherz in ein beliebtes Meme, aus dem sie Profit schlugen. Merchandise mit dem Aufdruck wurde zu Genüge verkauft, weil kaum ein Fan Witze, bei denen die Bands mitspielen, nicht gut findet. Zahlreiche Nacheiferer folgten, aber kaum einer konnte die wahren Könige der Bewegung an Fremdscham überbieten.

Schon allein das an Crunk erinnernde Intro des Albums „Hot Grills, and High Tops“ ist nicht einzuholen. Immerhin könnte kein anderes Lied der Welt so gut wie auf das folgende Autotune-Fest „Stick Stickly“ – einen der ikonischsten Songs der Bandgeschichte – vorbereiten. Wer sich von euch bei diesem grässlich übertriebenen Chorus die Ohren zuhält, den kann ich sehr gut verstehen. Jeder der erzählt, dass Mathcore Kopfschmerzen verursacht, hat noch nicht mit den Meisterwerken aus der Trancecore-Szene zu tun gehabt. Mitsingen und betrunken zur Musik schwingen geht trotzdem noch – keine Angst. Wenn man sich nicht zu Ernst nimmt, kann man dieser Band also doch etwas abgewinnen. Welcher Alkoholpegel allerdings nötig ist, sollte ein Geheimnis bleiben. Produziert wurde diese Gräueltat nebenbei bemerkt von Joey Sturgis, dem Schöpfer aller Einheitsbrei-Metalcore-Bands. Das letzte fehlende Qualitätssiegel ist dann der Name des Labels Rise Records, welches ziemlich doll nach Hot Topic riecht und zusammen mit Sturgis gerne mal geldgierige Manifestationen der Übersättigung von Metalcore auf den Markt bringt.

I always thought that you would be the one
But, baby, just give me a chance – „The People’s Elbow“

Ich würde euch sogar raten in die gesamte Platte nicht reinzuhören. Dadurch würden euch so grässliche Titel wie „Catfish Soup“ und „What Happens If I Can’t Check My MySpace When We Get There“ erspart bleiben. Wenn ihr auf Masochismus steht und euch trotz meiner nett gemeinten Empfehlung, dieses Album zu überspringen, an die Scheibe wagt, hoffe ich keine Klagen an den Hals zu kriegen. Anstiftung zum Selbstmord dürfte ein ziemlich schwerwiegender Tatbestand sein, also lasst mich und euch nicht hängen.

Fazit:

Trotz der zahlreichen Gruppen, die von ehemaligen Mitgliedern dieser Band gegründet wurden, bleibt das Erbe von ATTACK ATTACK! ein sehr unschönes. Stellt euch einfach vor, ihr würdet von eurer Tante kein Geld, sondern nur Schulden erben. So ungefähr dürfte sich jeder Musiker fühlen, der in dieses Projekt involviert war und es nicht als einen Fehler seiner Jugend abtun möchte. Es wird im Text so dick aufgetragen, dass die Instrumente eigentlich gar nicht hinterherkommen können. Aber die auserkorenen PITBULLs des Metals sorgen für schwer greifbare und künstlerisch unvertretbare Musik, deren emotionale Qualität der eines Dixi-Klos entspricht. Und auch ich habe nun erfolgreich meinen Scheißhaufen auf eine der vielen Todsünden im Metalcore gesetzt. Vertretet ihr die gleiche Meinung und platziert euer Stoffwechselendprodukt ebenfalls auf ATTACK ATTACK!? Lasst es mich wissen.


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