Das Beste gibts umsonst – Summer Blast 2017

Freitag, 28.07.2017

Festival in den Ferien heißt immer mit überfüllten Zügen fahren und nervtötende Familien ertragen zu müssen. Nach einer gut aufgeteilten Hinfahrt erlaufe ich mir den Norden Coburgs. Spoiler: Es ist nicht so schön wie erhofft, etwas zersplittert und Fußgänger-unfreundlich. Zeit also Musik zu hören und weg von den öden Fassaden zu kommen. Einmal an der Firmenzentrale der HUK Coburg vorbei gestolpert, bin ich auch schon da. Begrüßt wird der Besucher hier von einem Schild, dass vor „den Hunden“ warnt. Das ehemalige Gelände des Bundesgrenzschutzes wird nämlich nur zu einem Teil durch den Cross Art e. V. für Proberäume gemietet und der Rest ist weiterhin Privatgrundstück – Festivalbesucher nicht erwünscht. Ganz frech traue ich mich trotzdem durch das verheißungsvoll geöffnete Tor. Ein Tipp noch an die Polizei und die Verwaltung: Auf Bauzäunen macht Stacheldraht wenig Sinn, wenn man unter dem Bauzaun durchschlüpfen kann.

Wie sieht es auf dem kostenlosen Festival nun aus? Neben dem sehr kleinen Außenbereich, der quasi nur aus Biergarten und Bühne besteht, gibt es noch das große angemietete Gebäude. Hier haben viele Bands ihre Proberäume und Cross Art-Vorstand Andre auch sein Studio. 

HE TOLD ME TO in seinem Element

Nach Lage checken, Sachen abstellen und Soundcheck beobachten beginnt der erste Künstler zu spielen. HE TOLD ME TO fällt dabei ganz und gar aus dem Beuteschema des Festivals. Trotzdem hat Alleinunterhalter Sandro Weich Spaß an seinem Indie Pop mit rockigen Einlagen. Gepackt von der Loop-Sucht baut der junge Coburger live seine Beats auf. Mit einer kräftigen und versierten Stimme im Gepäck, versucht er damit die anfangs skeptischen Metaller für sich zu gewinnen. Und das sogar mit mäßigem Erfolg, die Meute lyncht ihn nicht für seine Akustik-Gitarre und spendiert im ab und an Beifall. Bevor er dann sein Set beendet, wünscht er allen Besuchern viel Spaß mit ihrem Metal. Die sollten ihm dankbar sein, schließlich ist er quasi das „Eyebleach“ der Veranstaltung. Die Abwechslung aus knallig bunten Melodien und seichten Gesangseinlagen klingt gut und wäscht die Ohren rein. Hätte auch nach den anderen Künstlern gut gepasst. Da mir seine Aufbereitung des Singer-Songwriter-Seins gefällt, schnapp ich mir am Stand auch gleich zwei CDs.

Die erste Reihe beäugt BEYOND ORCUS

Mit BEYOND ORCUS bekommen die Leute endlich den von HE TOLD ME TO angekündigten wohlverdienten „Metal Friday“. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger scheint der Sänger aber nicht so viel Puste zu haben. In Anbetracht der fiesen, mit thrashigem Drumming verschmelzenden Melodeath-Riffs, fehlt ihm da leider der Druck. Abgesehen von ein paar Verspielern und dem dauerhaft prolligen Gesichtsausdruck des Bassisten, ist es ein absolut sympathischer Auftritt. Luft nach oben ist da allemal, vergleiche man nur die Studioleistung mit den Live-Auftritten.

Am ersten Festivaltag wurden knapp 350 Besucher gezählt

PHALLUSKULT sind nicht nur Götter der Namensgebung sondern auch der Riffs. Nach einem Jahr Bühnen- und angeblich auch Proberaum-Abstinenz klingen die Coburger so eklig und geil wie immer. Mit ihrem energetischen und von Scherzen gefüllten Auftritt mobilisieren sie das Publikum. Mitsingen darf der ein oder andere Freund aus alten Zeiten auch – damit sind natürlich Zuschauer gemeint, keine Band kann PHALLUSKULT leiden. Mit einem, nach eigenen Aussagen, „linksextremistischen“ Song beenden sie dann ihr Set. Ob sie mit diesem Lied, der Ankündigung zu „Patridiot“ und dem FCK AFD-Shirt hier Zuschauer verlieren?

KOSMOPYRIA bieten dazu das Kontrastprogramm. Symphonic (Black) Metal auf Deutsch für Leute die gern Bier, Bratwurst und Fußball am Sonntag genießen wollen. Immerhin bildet sich der erste richtige Moshpit des Festivals. Lustiger und definitiv nicht ausgedachter Fakt: gefühlt die Hälfte von Coburgs Jugendlichen besäuft sich hier ohne Eintritt bezahlen zu müssen. Die Hälfte von ihnen kennt aber die Songs und grölt ordentlich mit. Ziemlich überraschend, denn hier soll eigentlich eine neue Platte beworben werden. „Sinister“ heißt das neue Werk, von dem heute am Veröffentlichungstag vergleichsweise wenig gespielt wird. Aus den Rufen zwischen den Songs lerne ich dann, dass die Band – allen Aussagen des Sängers zum Trotz – nicht KOSMOPYRIA und auch nicht PHALLUSKULT heißt. Es geht nur um Helges Penis. Warum zum Bühnenoutfit der Band weiß bestaubte Klamotten gehören, kann ich mir nicht erklären. Das wirkt leider etwas billig – vielleicht ist Helge ja Maler?

MUNARHEIM machen den Trunkenbolden den Garaus

Eine knappe halbe Stunde später betritt Helge erneut die Bühne. Er gehört nämlich zum Line-Up von KOSMOPYRIA und MUNARHEIM. Ein weiteres Mitglied unterstützt sie dabei, aber dazu später mehr. Kommen wir also zu MUNARHEIMs gefeiertem Auftritt. Kaum ist der Headliner des Abends auf der Bühne, schon ist es um viele Zuschauer geschehen. Diejenigen, die sich noch auf den Beinen halten können, tanzen im tranceartigen Zustand zum Genre-Mix des Heimatvereins. Was den Aufmerksamen bereits zwischen den Flöten-Einlagen aufgefallen sein sollte, offenbart sich den Unwissenden am Ende des Auftritts. Anlässlich der Verlobung eines Freundes der Band verteilt dieser Seifenblasen auf der Bühne und halb MUNARHEIM tragen Bademäntel. Davon war aber nichts zu sehen, ganz im Gegenteil zu dem Jubel, der den Mann hinter dem Schlagzeug anfeuert. Wolfgang hat sich nämlich gerade drei Sets am Stück gespielt – für PHALLUSKULT, KOSMOPYRIA und MUNARHEIM. Da bleibt dem Publikum nur übrig, sich vor dieser Maschine zu verbeugen.
Ein weiteres Fazit dieses Tages: Der Sound ist unglaublich gut abgemischt und klar, nichts wird vermatscht oder zu hoch aufgedreht. Mein Lob gilt den Leuten am Mischpult.

Samstag, 29.07.2017

Eine ziemlich entspannte Nacht in meinem, vom Cross Art e. V. organisierten, Domizil später, wird es Zeit für die nächsten Auftritte. Vorher schaue ich mir jedoch die Verpflegung für euch an: Mit Bargeld kauft man Coupons und damit geht man essen. Es gibt also Essensmarken! Da fahre ich einmal in den Westen und dann erlebe ich sowas. Die Preise sind trotzdem für das DDR-SILENCE-Magazin erschwinglich, lediglich für die teuren Burger reicht das Geld aus der LPG nicht. 

Gute Laune im Biergarten dank DER KIRCHWEIHTRUPP

Der kommende Act fungiert als „Eyebleach“ dieses Samstags. War der Metal gestern zu viel für die Ohren und HE TOLD ME TO nicht Abwechslung genug? Dafür spielt jetzt – angelehnt an ein etwas größeres Festival – DER KIRCHWEIHTRUPP. Die kommen gerade frisch vom „Blaulichtempfang“ und spielen einfach, was ihnen so einfällt – egal ob Evergreens wie „Biene Maja“, „Über den Wolken“, „Aber bitte mit Sahne“ oder traditionellere Sachen. Ganz unvorbereitet ist der Trupp jedoch nicht, die Scherze richten sich eindeutig an das besondere Publikum und das kommt gut an. Eingefleischte Coburger kennen das Repertoire und singen mit. Auch das Trommel-Solo gefällt den Metallern sichtlich, die Show wirkt gelungen.
Ein Musiker am Blasinstrument war besonders gut vorbereitet: er trägt eine TERROR-Cap. Ob ihm das einer aufgesetzt hat oder nicht, ist mir jetzt egal: DER KIRCHWEIHTRUPP in Coburg hat einen guten Musikgeschmack!

LOST IN SALVATION spielen gern im Schlamm

Die für viele erste „richtige“ Band des Tages sind LOST IN SALVATION. Melodic Metalcore der auf abwechselnd weiblichen und männlichen Gesang setzt. Dass dieser Auftritt ihr erster in Coburg ist, merke ich deutlich. Aber obwohl Sänger und Sängerin nicht so ganz aus sich rauskommen und etwas verloren wirken, freut sich der Gitarrist umso mehr über das Rampenlicht. Nichtsdestotrotz ein rundes Set, bei dem Zuschauer mit Freibier und einem AMON AMARTH-Cover als Zugabe eingewickelt wurden.

Ernste und lustige Themen werden bei VARUS gleichwertig behandelt

Ähnlich eingängig und melodisch präsentieren uns VARUS ihren progressiven Power Metal. Das soll wohl heißen, dass von Death über Folk bis Black Metal alles in der Musik zu hören ist. Umgesetzt wird das ganz gut, die Gitarre besticht auch hier erneut am meisten. Trotzdem gibt es zum Ende hin leider einen Patzer, der aber gut überspielt wird. Neben den vielen Trinkliedern Stimmen VARUS auch ernste Töne an. „Wandel der Zeit“ ist heute dem vor vier Wochen verstorbenen WOLFCHANT-Gitarristen Eddy gewidmet. Zu diesem Anlass tragen alle Bandmitglieder sogar Trauerbänder – so sieht Solidarität aus.

Eine besondere Beziehung zur Nostalgie hat die nächste Band. Alles was irgendwo zwischen NIRVANA und SOUNDGARDEN liegt, verarbeiten CABIN FEVER in ihren Songs. Auch wenn sie beteuern, nicht die CANTINA BAND zu sein, schwappt bei mir irgendwann die Langeweile über. Dennoch, in dem engen Rahmen, den sie sich geschaffen haben, tobt sich das Trio ordentlich aus und veranlasst das Publikum dazu mitzunicken.

CHALICE AND CROWN haben die Meute im Griff

Einen genauso retrolastigen Sound bekomme ich von CHALICE AND CROWN um die Ohren geblasen – astreiner Heavy Metal mit exzellenten Grooves. Geiler geht es kaum, vor allem da der Sänger in seiner Rolle vollkommen aufgeht. In seinem spießigen blauen Karohemd herumhüpfend, begeistert er die Zuschauer. Dazu schneidet er ein paar Grimassen und imitiert die Soli seiner Kollegen. Leider bleibt eine Zugabe aus, der Zeitplan ist eng. 

Metalcore aus regionalen Produkten gibt es bei ASHES OF A LIFETIME

ASHES OF A LIFETIME bieten genau dazu das Kontrastprogramm. Ihr Breakdown-Gewitter bricht nicht zum ersten Mal über Coburg aus. Die Metalcore-affine Gruppe ist schließlich ein Stammgast auf dem Summer Blast Festival. Der nächste Fakt ist dieses mal nicht ausgedacht: Hauptorganisator, Vorstand des veranstaltenden Cross Art e. V. und Produzent André war selbst mal Schlagzeuger bei ASHES OF A LIFETIME. Wenn das noch nicht genug nach Heimspiel für euch klingt, kann ich euch nur sagen, dass sowohl Eltern, Lebenspartner, als auch Kinder der Band sich das Spektakel ansehen. Am Ende des Unwetters steht kaum noch jemand im Moshpit auf festem Fuß. Selbst nicht so pogo-affine Zuschauer haben sichtlich Spaß an den Chugs der Gruppe. 

Zu später Stunde wecken CRIPPER alle auf

Dieser Auftritt sollte jedoch nur als Vorbereitung auf den Haupt-Act dienen. CRIPPER aus Hannover haben hier laut Sängerin Britta „Elchkuh“ Görtz „laufen und saufen“ gelernt. Mit der Wucht einer Elchkuh schreit sie auch fröhlich drauf los, die Gitarren wummern und das Schlagzeug fällt immer wieder in den typischen Two-Step-Rhythmus. Mit dieser Musik im Kopf ruhig stehen zu bleiben schaffen nicht viele und so bildet sich ein noch größerer Haufen an mosh-lustigen Saufköpfen. Schade, dass zwecks Fehlen von Gleichgewichtssinn und Verständnis von friedlichem Moshen einiger Pit-Besucher die Security heute zweimal einschreiten muss. Diesen Job erledigt sie aber mit Bravour und schon kann es für alle weitergehen.

Eine gefühlte viertel Stunde später endet auch schon das einstündige Set und die Zuschauer beginnen sich langsam zurückzuziehen. Das Gelände leert sich und die verbleibenden Besucher lernen jetzt erst richtig, was mit „laufen und saufen lernen“ gemeint ist. Ich hingegen genehmige mir noch zwei Stunden wohlverdienten Schlaf bevor ich mich auf den Heimweg begebe. Im bestimmt achtzigsten Regionalexpress sitzend erinnere ich mich zurück an ein rundum gelungenes Festival mit einer tollen Crew und geilem Sound. Danke an Cross Art e. V. für dieses kostenlose Spektakel und den herzlichen Umgang!

Alle Neuigkeiten rund um das Summer Blast findet ihr bei Cross Art e. V..


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