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Das volle Haus in Hamburg: Sankt Hell Festival 2017
Während halb Deutschland am 27. Dezember 2017 noch mit vom Weihnachtsessen aufgedunsenen Wänsten zu Hause auf dem Sofa lümmelte oder notgedrungen zur Arbeit rollte, rollte ich mit Auto und Begleitung auf der Autobahn bereits Richtung Hamburg. Denn dort sollte das zweitägige Sankt Hell Festival als letzte Etappe der Festivalsaison 2017 das anstehende Ende des Jahres einläuten.
Nach einer erstaunlich reibungslosen Fahrt und einer deutlich hektischeren Reise per S-Bahn in Richtung Reeperbahn, kommen wir schließlich pünktlich zur ersten Band im Gruenspan an, in dessen Halle insgesamt zwölf Bands ihre Musik zum Besten geben sollen.
Mittwoch, 27.12.2017: Und er sah, dass es … voll war!
Noch während wir uns in der Schlange zur im oberen Stockwerk befindlichen Garderobe befinden, eröffnen HYNE die dritte Auflage des Hamburger Festivals. Insgesamt sechs Songs gönnt die Band ihren Zuschauern, darunter auch das neue „The Outcast“. Der Stil lässt sich dabei als relativ klassischer Hardrock beschreiben. Parallel zum Auftritt verschaffe ich mir einen Überblick über die Location.
Beim Gruenspan handelt es sich um eine Location kleinerer bis mittlerer Größe, die mehreren hundert Zuschauern Platz bietet. Auf der oberen Etage bleibt Raum für weitere hundert Besucher. Besonders schnell füllt sich die einseitig begehbare Empore auf der rechten Seite, von welcher man einen sehr guten Blick auf die Bühne sowie den gesamten unteren Saal hat, der am Rand von einigen Säulen geziert wird, an die bereits jetzt hie und da einige Leute gelehnt stehen.
Wo ich schon dabei bin, die Location abzuchecken – Zeit, dem Merch-Stand einen Besuch abzustatten! Leider werde ich bitter enttäuscht. Nachdem mir bereits am Einlass gewahr wurde, dass für die Besucher lediglich schmucklose Papierbändchen zur Verfügung gestellt werden, stelle ich nun fest, dass lediglich ein auf der Vorderseite bedrucktes Shirt mit dem universellen Logo des Festivals verkauft wird. Kein Billing, keine Jahreszahl, kein besonderes Motiv – und das, wo im letzten Jahr doch offenbar Shirts samt Billing gedruckt worden sind. Sehr Schade. So geht mein gebrochenes Sammlerherz beim Sankt Hell leer aus. Welch‘ Tragödie für einen Materialisten und Angeber wie mich!
Doch was mich nicht umbringt, macht mich stärker. Auf zum nächsten Auftritt, schließlich bin ich ja (auch) wegen der Musik hier. Als zweites stehen heute TRANSPORT LEAGUE auf dem Programm. Die bereits seit 1994 aktive Truppe präsentiert raue, energiegeladene Musik und wirkt damit etwas „böser“ als die Vorgänger. Über den halbstündigen Auftritt bietet die Truppe um den prächt-bärtigen Tony Julien Jelencovich allerdings etwas wenig Abwechslung, obgleich ich für Späße wie das eingeschobene „I am Iron Man!“ als alter Marvel-Fan natürlich stets zu haben bin. Die Lautstärke ist deutlich höher als beim letzten Auftritt, sodass ich an der Garderobe für 50 Cent ein paar Oropax erstehe. Ein Schelm würde nun fragen „Rettung in der Not oder durchgeplantes Gewinnkalkül?“, doch da ich kein Schelm bin und die Gewinnspanne für Oropax gen Kleingeld gehen dürfte, stelle ich solch fiese Fragen selbstverständlich nicht.
Posaune, Hippie, Saxophon – all dies gibt es bei COOGANS BLUFF zu bestaunen. Kenne ich die besagten Blechblasinstrumente sonst vor allem als heiter schmetternde Bestandteile des Folk und Ska, so zeigen die Herren hier, dass diese Instrumente auch hervorragend zur Untermalung schwererer und dramatischerer Melodien genutzt werden können. Zusammen mit dem locker wirkenden Stil des Sängers, der in Jogginghose und ohne Schuhwerk unterwegs ist, entsteht hier ein trügerisches Bild, das dem unwissenden Zuschauer zunächst die Illusion einer unbekümmerten Band vermittelt, welches sich erst beim näheren Hinhören auflöst.
Ganz anders sind da die nachfolgenden DEWOLFF aus den Niederlanden. Die dreiköpfige Formation, die aus den Brüdern van de Poel und Robin Piso besteht, vermittelt von Beginn an Heiterkeit und weiß mich so direkt mitzureißen. Der Stil der Band strotzt dabei vor schwungvollen Instrumentals und einem regelrecht schreienden Keyboard. Hier wird mir als Power-Metal-Fanatiker auch zum ersten Mal bewusst, was mir trotz der zahlreichen einladenden Stücke noch zur wahren Euphorie fehlt: Gesang! Häufigere Gesangsparts zum Mitschmettern sucht man hier vergebens, gehören einfach nicht zu diesem Stil. Trotzdem, starker Auftritt!
Das zeigt sich auch im Raum. Denn: es ist mittlerweile brechend voll! Das gut gelaunte Publikum drängt sich im Saal, und so verwundert es nicht, dass sich dieser inzwischen ziemlich aufgeheizt hat. Zeit, die Reeperbahn-Nähe einmal auszunutzen und ein kleines Päuschen außerhalb zu machen. Gelegenheiten für Futterpausen gibt es reichlich, sodass wir nicht lange suchen müssen. Den zweiten Teil des Auftritts von THE BREW nehmen wir allerdings noch mit. Wieder langsamer und meditativer zu Werke gehend, bleibt mir die Truppe insbesondere aufgrund ihrer rasanten Schlagzeug-Soli im Gedächtnis.
Ausdauernd, wie ich bin, erarbeite ich mir durch geduldiges Warten während dieses Auftritts und blitzschnelles Zuschlagen am Ende desselben einen der heiß begehrten Emporen-Plätze im Obergeschoss. Diese sind stets belegt. Kein Wunder, schließlich ist der Ausblick hier hervorragend und man muss sich – anders als unten im Saal – nicht in das volle Gedränge stürzen. Der Eindruck des vollen Hauses täuscht indes nicht, denn wie ich im Nachhinein erfahre, kann das Festival am heutigen Abend den Ausverkauf vermelden. Knapp über 800 Besucher hat es in den Raum verschlagen. Ein Erfolg auf ganzer Linie. Ein schwüler, verschwitzter und dicht gedrängter Erfolg… aber ein Erfolg!
… den sie sicher nicht zuletzt auch dem guten Ruf des heutigen Headliners verdanken. Das Sankt Hell ist gut durchorganisiert und kommt ohne jegliche Verspätung über den Abend, sodass pünktlich um 23 Uhr KADAVAR ihren Gig beginnen. Die Band ist mir noch einen Auftritt schuldig, da mir die Geburt von Tigers kleinem Satansbraten im Sommer kurzfristig einen Strich durch die Rechnung machte. Nun aber steht dem Genuss nichts mehr im Wege. Allein schon ihrer Wolle wegen muss man die drei eigentlich feiern. Jaja, Beschränkung auf ihr Äußeres, blabla… aber schaut sie euch doch an! Wallende Mähnen, epische Bärte und eine verblüffende Ähnlichkeit zu Don Promillo. Wie junge Götter! [Anm.d.Red.: Es muss wirklich SEHR warm da gewesen sein …]
Schlagzeuger Tiger ist auf der Bühne sehr zentral positioniert. Eine Besonderheit, findet man die Drums doch häufig im hinteren Teil der Bühne. Die Stimmung der Besucher findet hier idealerweise ihren Höhepunkt. Die Menge ist in guter Stimmung, sogar der erste Crowdsurfer des Abends in einem sonst sehr ruhigen Publikum lässt sich ausfindig machen. Einige Mikropits entstehen, in denen sich eine handvoll Fans austoben. Und das, wo doch eigentlich kaum noch Platz im übervollen Saal ist. Das Finale ist gelungen. Doch nun husch, husch, zurück ins Hotel, um morgen den zweiten Tag des Festivals heil zu überstehen.
Donnerstag, 28.12.2017: Zuerst kam der Genuss
Als ich am zweiten Tag – nach einem Besuch im Panoptikum und in lokalen Burgerläden, wie oft kommt man schließlich nach Hamburg – erneut das Gruenspan betrete, ist es noch angenehm luftig und recht leer, sodass ich mir einen Platz am Zaun in der ersten Reihe sichere. Von diesem aus gebe ich mir die Tages-Opener HELHORSE, eine muntere Truppe aus Kopenhagen. Die fünfköpfige Gruppe tritt sehr wild und rockig auf, springt agil auf der Bühne umher. Zwischen den Songs werden die Zuschauer darüber unterrichtet, dass Gitarrist Stephan heute aufgrund eines kurzfristigen Krankenhausbesuchs am gestrigen Tage nicht mit dabei sein kann. Stattdessen ist Christian von WOES heute mit von der Partie, um diesen zu vertreten. Vorbereitungszeit zum Lernen der Songs: wenige Stunden. Das zeugt von Einsatz, Respekt! Insgesamt wirkt die gesamte Gruppe sehr Fan-nah, ein paar Handshakes mit den Zuschauern hier, einige geschenkte Shirts ins Publikum da. Von Müdigkeit keine Spur!
STEAK NUMBER EIGHT will ich mir wiederum von der Empore anschauen, muss meinen Platz aufgrund des schlechten Sounds dort oben allerdings binnen weniger Minuten schon wieder räumen. Sänger Brent ist heute mit blauen LED-Schnürsenkeln unterwegs, ein besonderes Geschenk des Gitarristen. Allerdings ist diese Begebenheit schon das interessanteste am Auftritt der belgischen Formation. Bis auf den Song „Dickhead“, der insbesondere durch die psychedelische Gitarrenmelodie zu bannen weiß, wirkt das Ganze doch über weite Strecken monoton und ziemlich stumpf. Hier hatte ich mir mehr erhofft.
Viel erhofft habe ich mir auch von DOOL. Und es bekommen! Sängerin Ryanne van Dorst ist anzumerken, mit wie viel Leidenschaft und Ernst sie bei der Sache ist. Immer wieder bewegen sich die insgesamt vier Saitenzupfer synchron, sodass neben der eindrucksvollen Musik auch eine anschauliche Live-Performance geboten wird. Insbesondere während dieses Auftritts wird ziemlich klar, dass das Sankt Hell Festival in erster Linie eines ist: ein Festival für Genießer! Keine Crowdsurfer, keine Pits und wenig Zwiegespräche, stattdessen ein hochaufmerksames Publikum und ein fanatisch tanzender, älterer Herr, der seine Euphorie voll auslebt. Genau so sieht die Zielgruppe der Veranstaltung aus. Zum Abschluss des DOOL-Auftrittes steht selbstverständlich das heiß ersehnte „Oweynagat“, das nochmal richtig zelebriert wird.
Dass es nicht immer fünf Bandmitglieder braucht, stellen THE PICTUREBOOKS unter Beweis. Fynn Claus Grabke und Philipp Mirtschink sind ein Zwei-Mann-Projekt, unterstützt nur durch den Vater des Ersteren am Mischpult. Obwohl mir als reizüberflutungsgewohntem High-Speed-Metal-Konsument mitunter etwas Facettenreichtum fehlt, muss man doch sagen, dass die beiden aus Gesang, Gitarre und Schlagzeug sehr viel rausholen und eine unterhaltsame Show mit enorm zahlreichen Ansagen abliefern. So spricht Fynn als Überleitung zum Titel „Zero Fucks Given“ beispielsweise ziemlich ausführlich darüber, dass es den heute anwesenden Fans und Künstlern vor allem um die Liebe geht. Der Liebe zur Musik anstelle des billigen Eintritts oder des Geldverdienens. So wird die Menge wachgehalten und man hat das Gefühl, ständig Teil eines Dialoges zwischen Künstler und Zuhörer zu sein. Sehr angenehm, ein durchaus sehenswerter und zugleich entspannter Auftritt.
KARMA TO BURN bespielen als vorletzte Band des Abends die Bühne. Bei diesem Auftritt werden sich die Geister vermutlich scheiden. Denn was die Band von allen anderen abhebt, ist die vollkommene Abwesenheit eines Sängers. Sicherlich eignet sich die rockige Musik relativ gut, um sich nebenher zu unterhalten oder auch andere Dinge zu tun. Eine Stunde lang kann mich das allerdings nicht unterhalten – sicherlich bemerkenswert, aber absolut nicht mein Ding. Dafür bleibt Zeit, mich noch einmal etwas im Raum umzuschauen. Der Saal ist ziemlich voll, doch im Gegensatz zu gestern bleibt noch genügend Platz im Raum, um die Menschenreihen ohne große Probleme passieren zu können. Tatsächlich werden heute nicht alle Tickets verkauft werden, doch dennoch wird man bis zum Ende des Abends wieder am „Sold Out“ kratzen. Anstelle von Menschen machen allerdings zertretene Plastikbecher das Treten schwerer. Neben üblichen Preisen (u.a. 2,80 € für einen Softdrink) wird darauf verzichtet, Pfand zu nehmen. Angesichts fehlender Stellen (oder unzureichender Markierung) zur Entsorgung des Unrates führt dies dazu, dass Becher oftmals achtlos in den Raum geschmissen werden. Kein großes Ding, aber dem Komfort doch abträglich.
Mit MANTAR wird schließlich das Finale des zweiten Abends und somit des gesamten Events eingeläutet. Zum zweiten Mal an diesem Tag ist es lediglich ein Duo, das die Bühne ausfüllt. Drummer Erinc und Gitarrist Hanno befinden sich dabei in einem 90-Grad-Winkel zum Publikum und sich gegenseitig gegenüber, sodass es den Eindruck macht, als würden sich die beiden an ihren Instrumenten duellieren. Es handelt sich bei dem Gemisch aus Black Metal, Doom und Punk definitiv um den härtesten Auftritt des Tages. Die beiden sind – wie schon alle Künstler zuvor – bei guter Laune, und das spiegelt sich auch im Publikum wider. Die Fans sind mehr in Bewegung als bei irgendeinem Auftritt zuvor, ein kleiner Moshpit entsteht, es wird gefeiert. Es wird noch einmal richtig voll, und man kann spüren, dass mittlerweile fast so viele Leute anwesend sind wie beim gestrigen Finale. Etwas eng, wenn man drin steht, doch jeder Besucher mehr bedeutet auch einen Schritt mehr zum finanziellen Erfolg für die Veranstalter!
Fazit: „Hell Yeah“ oder „Hell No“?
Für Fans aus dem Psychedelic, Hardrock und Doom ein ziemlich deutliches „Hell, Yeah!“. Für mich zwar auch, aber mit einigen kleineren Abzügen. Dass es weder Stoffbändchen noch schöne (!) Shirts gab, mag für den einen oder anderen nicht besonders wichtig sein. Da es allerdings auch viele Sammler in der Szene gibt, ist dies durchaus negativ anzumerken. Hier ist mit genügend Vorausplanung nicht nur mehr möglich, sondern auch wünschenswert – Shirts aus dem Vorjahr und Stoffbändchen auf vielen anderen, auch kleineren Festivals, beweisen das. Ein Pfandsystem wäre ebenfalls angebracht, um nicht ständig in zertretenem Plastik zu stehen. Eine leichte Reduzierung der Lautstärke im Raum wäre zudem sinnvoll, da einige Auftritte ohne Gehörschutz nicht zu genießen waren.
Doch damit kommen wir auch schon zu den positiven Punkten. Alle Bands vermittelten durchweg den Eindruck, gut gelaunt und voll bei der Sache zu sein. Längst keine Selbstverständlichkeit! Der Preis ist mit 50 € für zwei Tage in einer Stadt wie Hamburg durchaus angemessen. Zufriedenstellend ist die Tatsache, dass das Billing mit einem ausverkauften Haus entlohnt wurde. Darauf lässt sich in Zukunft aufbauen. Um eine klaustrophobisch anmutende Stimmung zu vermeiden, wäre eine etwas strengere Limitierung sicherlich geboten, da es in dem eher kleinen Saal sehr schnell ungemütlich voll werden kann. Da zunächst einmal die Finanzierung und Etablierung des noch jungen Festivals im Vordergrund steht, sollte dies aber als Plus und nicht als Minus angerechnet werden. Die Auftritte der Bands begannen stets pünktlich, liefen reibungslos ab und ließen keinen Raum für Kritik an der Organisation. Hier möchte ich ein großes Lob aussprechen – so soll das sein!
Wenn an den kleinen Kritikpunkten noch gearbeitet wird, gibt es absolut nichts an dem Festival auszusetzen. Ich erwarte mit großer Spannung, welche Bands im nächsten Jahr aus dem Hut gezaubert werden. Gegen einen so unterhaltsamen Jahresausklang wie im letzten Jahr hätte ich nichts einzuwenden, also: bis dahin!
Das Sankt Hell Festival findet ihr auf Facebook und im WWW!
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