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DÉCEMBRE NOIR im Interview – Optimistisch bleiben
Konzerte sind dieses Jahr eher nicht so en vogue, die Musiker und Arbeiter aus der Veranstaltungsbranche sind trotzdem noch da. Das Thema nervt, trotzdem muss jeder irgendwie mit der Situation umgehen. Wir haben mit Sebastian Görlach von DÉCEMBRE NOIR gesprochen, wie sie als Band dieses Jahr wahrgenommen haben und ob sich die ungewollten Umstände auf ihr musikalisches Schaffen ausgewirkt haben. Die Doom-Metaller aus Erfurt haben die frei gewordene Zeit genutzt. Geplant war es zwar eh für dieses Jahr, ihr neues Album „The Renaissance of Hope“ steht so jedoch noch zentraler im Rahmen ihrer musikalischen Aktivitäten. Ihre sehr reflektiertes und durchaus auch optimistisches Resumee könnt ihr hier bei uns lesen.
S: Wie habt ihr die letzten Monate so wahrgenommen? Seid ihr als Band dadurch auch ein Stück näher zueinandergekommen?
DN: Wir haben natürlich in den letzten Monaten fast ausschließlich am Album gearbeitet und uns eher im Studio oder im Proberaum versteckt. Aber auch da holten uns Kontaktbeschränkungen ein. Ich glaube, es ist gerade für uns schwer, in einer solchen Zeit zueinander zu finden. Für uns, und sicher auch für viele andere Bands, ist das Liveerlebnis, miteinander auf der Bühne zu stehen, den Abend zu erleben, ein fester Anker und hält die Band zusammen. Die Arbeit im Studio verlangt natürlich auch viel Kommunikation und man freut sich über das Ergebnis. Aber es ist nicht ansatzweise so verbindend, wie gemeinsam auf der Bühne zu stehen.
S: Kann sich eine solche Situation auch auf die künstlerische Produktivität auswirken?
DN: Viele Bands haben natürlich ihre Tourausfälle genutzt, um an neuem Material zu arbeiten. Sei es nun aus wirtschaftlichen Gründen oder weil ihnen die Decke auf den Kopf gefallen ist. Genug Vorlagen, um sich geistig mit dem Thema zu befassen und es in Texte einfließen zu lassen, gibt es allemal. Wenn man das denn wirklich will. Es wird sicher für einige unverhofft viel freie Zeit entstanden sein, die gerade dazu einlädt, sich von der Muse küssen zu lassen. Aber ich denke, es kann auch sehr schnell ins Gegenteil umschlagen. Wenn Unsicherheit und Zukunftsängste eher eine Blockade bilden und einen so aus dem kreativen Fluß reißen. Das wird nicht selten passiert sein.
S: Ihr habt selbst aktuell ein neues Album fertig. Wäre es unter anderen Umständen anders geworden?
DN: Das auf jeden Fall nicht! Das Album war ja im Prinzip in der Vorproduktion schon fertig, bevor es mit den Einschränkungen los ging und man so nach und nach Bewusstsein dafür erlangt hat, dass es nicht nur ganz weit weg ist und einen selbst nicht betrifft. Wir hatten jetzt auch nicht mehr oder weniger Zeit im Studio, was es hätte beeinflussen können. Man könnte schlecht von einem erkennbaren Coronaalbum reden.
S: Gibt es eine Geschichte zu dem Album?
DN: Eine Geschichte aus der das Album resultiert, gibt es nicht. Das Album hat natürlich einen gewissen Weg der Entstehung und dieser wird von vielen Eindrücken und Begebenheiten geprägt. So fließt natürlich einiges in die Musik ein. Musikalisch wie auch textlich.
S: Haben reine Instrumentalstücke in euren Augen eine besondere Stärke? / Kann diese Musikform ohne Gesang in der heutigen Zeit mit so vielen Stimmen/Meinungen eine Art Therapie (falls man das so nennen kann) sein?
DN: Ich glaube schon, dass es immer wichtiger wird, einen Ruhepol für sich zu bekommen. Die mediale Welt wird nicht nur immer schneller, sondern auch immer aggressiver, immer lauter und fordernder. Kommunikation in sozialen Netzwerken gleicht eher tätlichen Angriffen und hat mit Gedankenaustausch nichts mehr zu tun. Um so wichtiger wird es immer mehr, einen Gegenpol zu finden. Rein Instrumentale Stücke könnten da schon wieder an Bedeutung gewinnen. Wir schreiben alle unsere Songs von vornherein erst einmal rein instrumental. Erst wenn uns der Song schon ohne Text abholt, wird daran weiter gemacht und der Text kommt hinzu. Vielleicht ergibt es sich ja mal, dass ein Stück von uns das Zeug hat, ohne Text vollendet zu werden.
S: Was hat den schon auffälligen Stilwechsel im Vergleich zum Vorgängeralbum verursacht/beeinflusst?
DN: Ich glaube, wir alle erkennen bei „The Renaissance Of Hope“ keinen wirklichen Stilwechsel. Es sind darauf eher einige unserer Facetten stärker oder schwächer ausgeprägt als auf dem Vorgängeralbum. Nach vier Alben betrachtet, ist unser Weg eher zwischen allen Alben zu sehen. Unser Pfad führt von Album zu Album wohl nicht auf einer geraden Linie. Die Komplexität des „Autumn Kings“ Albums war in gewisser Weise wieder der Antrieb, um auf „The Renaissance Of Hope“ offener zu werden. So beeinflussen sich die Werke sicher untereinander und man bekommt nach einem Release Lust, auch die anderen, etwas zu kurz gekommenen, Seiten an uns wieder etwas näher zu betrachten.
S: Ging die Produktion / Studiozeit schneller als unter „normalen“ Bedingungen?
DN: Wir hatten uns im Vorfeld für die Studiozeit schon etwas den Kalender frei gehalten und nicht all zu viele Konzerte in diesen Zeitraum gelegt. Allerdings hätten wir liebend gern zwischendurch den Aufnahmeraum mit der Bühne getauscht. Wir hatten uns eigentlich auf einen langen Studiozeitraum eingerichtet, da unser Produzent Alexander Dietz mit seiner Band Heaven Shall Burn auf so ziemlich jedem Festival des Sommers zu gegen gewesen wäre. Nun sind diese ausgefallen und die Zeit wurde für die Produktion genutzt. Doch wie es immer so ist, wurde es am Ende hektisch und die Zeit zum Abgabetermin wurde mehr als knapp
S: Habt ihr Kontakt mit anderen Künstlern und so einen Vergleich, wie die momentane Situation, die an sich für alle ja neu sein dürfte, künstlerisch behandelt wurde? Oder spielt das für euch überhaupt eine Rolle?
DN: Eine künstlerische Verarbeitung konnten wir noch nicht in unserem Umfeld feststellen, es sei denn in Sachen Überlebenskunst. Ich hoffe auch nicht, dass die Thematik in ihrem Verlauf so viel Potential bekommt, um einen festen Platz in der Kunst zu finden. Das wünsche ich uns allen. Natürlich hat man Mittel und Wege gesucht. Streaming Studios entstanden und haben Agenturen ihren Dienst angeboten. Studio Konzerte wurden zu Live-Alben. Es werden überall Mittel und Wege gesucht. Für uns hatte das bis jetzt noch keine Rolle gespielt. Sieht man mal von den Wegen ab, welche wir gehen mussten, um unsere Release Shows zu organisieren.
S: Habt ihr das Gefühl, dass sich durch fehlende Auftritte auch das Hörverhalten/Rezipieren von Musik verändert?
DN: Unter so manchem Kopfkissen lauerte eine kleine Rücklage für den Festivalsommer. Es hat sich ein großer Teil davon sicherlich in die „Plattenläden“ bewegt. Die Szene sucht natürlich nach Ersatz, der aber nur zum Teil gegeben werden kann. Es ist ja nicht nur die Live- Musik, sondern auch das Treffen mit Freunden, mit Gleichgesinnten. Einfach das, was eine Szene ausmacht. Sicherlich kann man sich abends vor den Rechner setzen oder die Kopfhörer auf, um sich durch den unendlichen großen Wald auf Streaming Portalen zu arbeiten, aber das gemeinsame Hören und der Austausch von Musik ist sicher gegen Null gelaufen. Ich habe das Gefühl, dass sich gerade in den letzten Monaten, die Leute an die „Gute alte Zeit“ und damit auch an die dazu gehörigen Bands zurück besonnen haben, um sich ein Stück heile Welt in Nostalgie zurück zu holen. Dann sind wahrscheinlich die jungen und aufstrebenden Bands im Hörverhalten etwas in den Hintergrund geraten.
S: Seid ihr von Fragen über Corona und eure Situation darin schon genervt?
DN: Es ist ja ganz normal, dass dieses Thema allgegenwärtig beschäftigt und behandelt wird. Ich habe selbst versucht oder vielmehr versucht darauf zu achten, dieses Thema nicht beim Treffen mit anderen gleich aufzugreifen, sondern sich über andere Dinge zu unterhalten. Aber es ist nicht möglich. Man kommt zwangsläufig auf Corona und die Situation zu sprechen. In so fern ist es eher zur Normalität geworden darüber zu reden oder danach gefragt zu werden. Aber man sehnt sich schon danach, andere Themen behandeln zu können.
S: Fehlt euch musikalisch in der Metal- und Rockszene momentan etwas? Habt ihr das Gefühl, an irgendeiner Stelle Potenzial für neue Wagnisse/Weiterentwicklungen zu sehen?
DN: Ich glaube nicht, dass etwas fehlt. Es ist ein kleines Universum, welches sich seit Beginn in alle Richtungen gleichmäßig ausdehnt. Es werden neue Sachen genau so gierig verschluckt, wie die Ursprünge bewahrt werden. Es wäre vermessen, krampfhaft Neues zu suchen oder zu planen. Die Sachen entstehen von allein und man sollte sich überraschen lassen.
S: Wo würdet ihr gerne mal auftreten?
DN: Wir können zwar auf einige Bühnenerfahrung bauen und auf einige Konzerte zurück blicken, aber die Welt ist für uns noch unerreichbar groß und somit gibt es unzählige Orte oder Festivals bei denen wir gerne auf der Bühne stehen würden. Wir mögen schon auch große Bühnen. Womit einige Plätze der Festival-Landschaft zu unseren „Sehnsuchtsorten“ zählen. Aber wir mögen auch das Besondere. Den Reiz einer Location, welche besondere Begebenheiten hat. Das war auch neben Corona ein Grund, warum wir uns für das Schauspielhaus in Erfurt für unsere Releaseshows entschieden haben.
S: Sind Release Konzerte etwas Besonderes für eine Band? Oder ist es besser, wenn das Publikum das Album bereits kennt?
DN: Es ist für uns auf jeden Fall immer etwas ganz besonderes. Wir haben so viele Ideen und es reizt uns immer sehr, diese Konzerte zu etwas ganz Besonderem zu machen. Leider fehlten uns bisher die Möglichkeiten, alles umzusetzen. Nun sind wir mit den Konzerten in einem alten Theater unseren Vorstellungen erheblich näher gekommen und wir fiebern nun auf eine Durchführung hin, auch wenn uns die aktuellen Verbote der Konzerte den Charakter einer Releaseshow etwas beraubt haben. Wenn ich von mir ausgehe, ist es mir schon lieb, wenn bekannte Titel den Abend dominieren und nur ein Teil der neuen Songs den Weg auf die Setlist finden. Die Reaktionen des Publikums auf bekannte Songs sind deutlich stärker und man muss schon gestehen, dass es einem mit guter Stimmung des Publikums auf der Bühne wesentlich leichter fällt. Die heutige Struktur einer Veröffentlichung hält aber auch im Metal einige vorgeschobene Single Auskopplungen bereit, so dass es schon ein paar Songs des Albums gibt, bevor es bei einer Releaseshow auf die Bühne geht.
S: Gibt es Bands, die euch beeinflusst haben / aktuell beeinflussen?
DN: Das gibt es natürlich, aber auch wieder nicht. Einer Beeinflussung kann man sich nicht entziehen. Das passiert ganz automatisch und sicher sehr unterbewusst. Und man kann unsere aktuellen Hörgewohnheiten auch nicht in unseren Songs ausmachen. In den meisten Reviews werden wir mit Bands verglichen, die eher selten oder gar nicht bei uns Gehör finden. Um so verblüffender ist es, wenn man uns deren Beeinflussung nachsagt. Aber es ist natürlich auch ein gewisser Grundstein einer Musikrichtung, den Bands gelegt haben und auf den wir jetzt aufbauen. Damit ist die Beeinflussung quasi wieder allgegenwärtig, auch wenn sie uns nicht persönlich und direkt betrifft.
S: Könnte sich in euren Augen die Bedeutung von Neuerscheinungen, egal wie lange es die Band schon gibt und wie bekannt sie ist, in Zeiten wie Corona besonders neu entwickeln?
DN: Die Neuentwicklungen sehe ich zur Zeit nicht bedingt durch die Krise. Es ist vielmehr eine Veränderung in der Musikwelt und dem Hörverhalten, welche auf die Bedeutung von Neuerscheinungen einwirkt. Alles beschleunigt sich. Der Konsum über die neuen Medien hat enorme Fahrt aufgenommen und die Bands sind angehalten, sich darin zu vermarkten. Das heißt, ständig medial präsent zu sein. Am Tag drei Sachen online stellen, obwohl man gar nichts zu sagen hat. Es sind nicht mehr die CDs im Handschuhfach vom Auto, welche 5 Jahre lang immer wieder den Weg in den Player finden. Es wird an der Ampel das nächste Album gezogen. Das ermöglicht zum einen auch jungen und kleineren Bands den Weg zur Hörerschaft, aber es stellt auch eine sehr schnelle Fluktuation dar. Das drängt natürlich dazu, immer schneller bedient zu werden. Große Top Acts werden weiterhin Alben wie große Fußstapfen setzen und mit neuen Sachen Jahre lang touren. Aber gerade mittleren Bands kann es in Zukunft Schweißperlen auf die Stirn treiben, um nicht in der Masse abzurutschen und unter zu gehen.
S: Mit welchem Gefühl bringt ihr jetzt die CD raus? Denkt ihr, falls es das überhaupt gibt, es ist eine ausgesprochen gute oder schlechte Zeit dafür?
DN: Wir haben uns natürlich auch der Frage stellen müssen, ob es sinnvoll ist, das Album jetzt raus zu bringen. Viele Bands haben ihre Veröffentlichung verschoben. Wenn man genau darüber nachdenkt, ist es aber ein rein kommerzieller Gedanke. Der finanzielle Schwung, den ein neues Album mit sich bringt, verpufft ohne die Konzerte oder die Tour dazu. Der Merchverkauf läuft nur schleppend und die teure Produktion ist für die Bands ohne Konzerte nicht zu kompensieren. Wir hatten das Glück, etwas finanziell unabhängig zu sein und können das etwas gelassener betrachten. Sicherlich wären ein paar Einnahmen bitter nötig gewesen, auch um unsere laufenden Kosten etwas aufzufangen. Aber für Musik oder auch für Kunst im Allgemeinen sollte es keine Zeit geben. Leider endet hier oft die Musiker Romantik oder auch die heile Welt der Fans. Und man muss auch erkennen, dass eine Band auch ein wirtschaftliches Unternehmen ist, und dass es in solchen besonderen Zeiten auch knallhart um Existenzen geht. Für uns gab es keine gute oder schlechte Zeit dafür. Wir hoffen, das Album findet seinen Platz. Es ist geschrieben und nun quasi für die menschliche Ewigkeit zugänglich. Auch nach dieser Krise. Rückblickend wird es sich nicht anders anhören, als wenn es diese Zeit nicht gegeben hätte.
Was mir an der Haltung von Sebastian sehr gefällt, ist seine Nüchternheit und trotzdem grundsätzlich positive Haltung in der aktuellen Lage. Wie wahrscheinlich allen wird ihm durch die momentane Situation die Wichtigkeit und individuelle Bedeutung für jeden von Livekonzerten noch bewusster. Nicht nur, um neue Stücke live präsentieren zu können, zumal Konzerte heutzutage die Haupteinnahmequelle für Musiker sind, sondern auch, da dort der Austausch zwischen Musikliebhabern stattfindet. Streamingdienste und Co. können eine Band nach oben spülen, können sie aber genauso in der Masse sofort wieder untergehen lassen. An dieser Gefahr hat sich momentan kaum etwas geändert. Dennoch, was soll man anderes tun außer positiv denken und hoffen, dass der gesellige Teil der Musikkultur bald wieder möglich ist. Dabei Décembre Noir live zuhören zu können, wäre auf jeden Fall eine Menge wert.
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