Der Deathcore ist gerettet – FIT FOR AN AUTOPSY

FIT FOR AN AUTOPSY – The Great Collapse
Veröffentlichungsdatum: 17.03.2017
Länge: 39:51 Min.
Label: Good Fight Music
Stil: Deathcore

Was kann den Deathcore im Jahr 2017 jetzt noch retten? Jetzt wo BORN OF OSIRIS ihr Debüt neu aufgelegt und mit genau den Synths versehen haben, die ihre letzten Alben für alte Fans so nervig machten, und SUICIDE SILENCE mit einer schlechten Nu-Metal-Wiederbelebung ihre Verkaufszahlen total vor die Wand gefahren haben, scheint die Rettung immer weiter in die Ferne zu rücken. Doch mein bisheriges Deathcore-Album des Jahres und der beste Auszug aus dem Katalog von FIT FOR AN AUTOPSY ist das Licht am Ende dieses Tunnels.

Politische Missstände aufzeigen ist ein selbst gesetztes Ziel dieser US-amerikanischen Deathcore-Band aus New Jersey. Laut ihrer Ansicht verschwendet eigentlich jeder seine Zeit und sein Potenzial, wenn er seine Musik nicht dafür nutzt, sich in die politische Debatte einzumischen. Aber das ist ein anderes Thema. Auf „The Great Collapse“ jedenfalls sind es Umweltthemen, die in den Vordergrund rücken. Die Truppe drückt ihre Meinung zum Klimawandel und allen anderen von Menschenhand geschaffenen Problemen sehr deutlich aus – ein großer Kollaps ist im Gange. Diese dunkle und pessimistische Atmosphäre spiegelt sich auch auf dem Cover der Scheibe wieder, welches von Adam Burke, der auch die neue SÓLSTAFIR-Platte gestaltet hat, eindrucksvoll in Szene gesetzt wurde. Und in der Musik geht es genauso zu, wie die Illustrationen es vermuten lassen: hemmungslos, inhuman, emotionsgeladen und rücksichtslos.

GOJIRA-artige Riffs begleiteten bereits auf dem Vorgänger „Abosulte Hope Absolute Hell“ einige Lieder. Auf diesem neuen Album wird das Ganze weniger unterschwellig präsentiert als es noch auf „Out To Sea“, „Mask Maker“ und „Ghosts In The River“ zu hören war. Das Intro und die Bridge von „Black Mammoth“ enthalten hier ein verdächtig nach einer Kopie von GOJIRA klingendes Riff. Wenn ich genau hinhöre, entdecke ich diese und weitere technische und progressive Elemente auf fast allen Tracks des Albums. Soli, die Lust auf weniger Breakdowns machen, finde ich zwischen den unablässigen Screams des Sängers bei „Terraform“ und „Iron Moon“. Auf Letztgenanntem darf man kurzzeitig niemand anderen als ION DISSONANCE-Frontmann Kevin McCaughey beim Schreien zuhören.

Antizipation und Kollaps

Langsamere und ruhige Momente sind handverlesen, was bei einer sonst so brutalen und kompromisslosen Band von Anfang an klar sein sollte. Trotzdem versüßt mir der letzte Song „Spiral“ mit der Post-Rock-Einlage vor dem letzten Breakdown des Albums den Tag. So weckt man Antizipation auf einen Breakdown! Denn besonders typisch für FIT FOR AN AUTOPSY sind die vielen abwechslungsreichen Strukturen der Songs und Breakdowns. Da darf es gern mal ein Moment mehr sein, den ich bei anderen Bands als lästig und faul empfinden würde. Zwischen „Heads Will Hang“ und „Too Late“ ist so ziemlich jede Art von Breakdown dabei, die man sich nur wünschen kann.

Weitere technische Spielereien sind auf „Terraform“ und „When The Bulbs Burn Out“ zu entdecken. Letzteres enthält den gleichen erregenden Gitarrenton, der auch meinen bis jetzt liebsten Breakdown des Jahres auf dem vorhin genannten„Iron Moon“ verschönert. Außerdem wird es durch ein Zitat eingeleitet, welches klarstellt, dass die Erderwärmung kein Hirngespinst ist. Politisch motiviert sind alle Texte auf „The Great Collapse“. So handelt „Black Mammoth“ zum Beispiel von der Dakota-Pipeline, die in den USA durch Stammesgebiet der indigenen Sioux verläuft. Ebenfalls das dazu entstandene Video handelt von diesem Thema und liefert düstere, beeindruckende Bilder.

Der im Titel der Platte beschriebene Kollaps beschränkt sich in den Texten auf umwelt-relevante Themen. Ziemlich angepisst und negativ gegenüber den Entscheidungen der Machthaber wirken die US-Amerikaner sofort. Bereits auf dem Opener „Hydra“ stellt man im Text klar, dass, wenn man denen einen Kopf abschlägt, zwei weitere nachwachsen. Ein Teufelskreis entsteht innerhalb des Systems und FIT FOR AN AUTOPSY machen genau zur richtigen Zeit darauf aufmerksam. Die fragwürdige Umstruktierung der Umweltbehörden der USA und der Ernennung eines Klimawandel-Zweiflers zum Umweltminister dürften die umweltpolitische Debatte in den nächsten Jahren zum Kochen bringen.

Cause when you cut off their head fucking two grow back! – „Hydra“

Und wo bleibt die eingangs erwähnte Emotion? Sie ist auf jedem Song zu spüren und verleiht der gesamten Scheibe diesen besonders bitteren Unterton. Jede dem Zuhörer ins Gesicht geschriene Proklamation trägt sehr viele negative Gefühle und Einstellungen. Dass diese Tragweite von der grandiosen Instrumentalisierung getragen wird, ist natürlich klar. Auch melodischer Gesang ist mehr oder weniger mit von der Partie, wie auch schon auf dem letzten Album. Wie spärlich er hier eingesetzt wird, zeigt die natürliche Entwicklung der Gruppe auf. Wahrscheinlich hätte ich mit so einem Kracher rechnen müssen. Jetzt, wo ich rückblickend auf ihre alten Alben erkennen muss, dass dieser nächste Schritt unausweichlich war.

Facebook

Autorenbewertung

8
Von Emotionen und Politik befeuerte Musik konnte man in FIT FOR AN AUTOPSYs Diskographie schon immer entdecken. Diese waren durch Feinheiten in den Riffs und dem Mix immer gut zu erkennen. Getragen wurden die melodisch angehauchten Parts von den Growls von Frontmann Nate Johnson und dieser Trend setzt sich hier fort. Eine Band, die auf ihrem letzten Album proklamierte, "I would rather be a corpse than the man I am / Fuck the optimists" ("Mask Maker"), wird sich nicht von heute auf morgen ändern. Und das, was sie daraus machen, klingt verdammt aufgebracht und angepisst.
ø 4.3 / 5 bei 6 Benutzerbewertungen
8 / 10 Punkten

Vorteile

+ spannende Feinheiten in allen Songs
+ heftige Riffs
+ politisch motivierte und emotionsgeladene Texte, die zum Mitsingen anregen
+ moderner Mix, der keine Brutalität oder Persönlichkeit entzieht
+ Arbeitsweg-freundliche Länge

Nachteile

- wenige Pausen für den Zuhörer
- enthält zwei Songs, die leicht in Vergessenheit geraten ("Too Late" und "Empty Still")

Du liest diesen Beitrag, weil unsere Autoren lieben, was sie tun - wenn du ihre Arbeit liebst, kannst du uns, wie andere schon, unterstützen. Wie? Mit einem kleinen monatlichen Beitrag über Patreon
Die mobile Version verlassen