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Der heikle Spagat zwischen Wollen und Müssen
Moin Freunde,
was wie wirres Gestammel scheint, hat tatsächlich einen eher ernsten Hintergrund, welchen wir (unsere Bassschubbse Nina und meine Vielheit) – auch aus durchaus eigenem Interesse – versuchen zu beleuchten. Vor kurzem wurde eine Review zum neuesten Album einer recht bekannten Band, welche natürlich bei einem sehr bekannten Label unter Vertrag ist, mit einer negativen Kritik bedacht. Das hatte fatale Folgen für den Rezensenten. Selbiger verrichtet(e) nämlich nebenbei auch noch in einer mittelprächtig vorzeigbaren Band seinen Dienst. Ja, er wurde gefeuert. Ja, und das nach der Veröffentlichung dieser, seiner Rezension! Wie das Ganze in Zusammenhang steht? Vielleicht sollte man wissen, dass besagte mittelprächtig vorzeigbare Band des Rezensenten in Kürze als Support für – und mit – eben jener großen Band auf Tour gehen wollte, deren Album er nicht besonders pralle fand. Das weitere Drumherum ist unbekannt und muss uns in diesem speziellen Fall erst mal nicht interessieren, da wir die konkreten Einzelheiten und Bandinterna nicht kennen, die letztendlich zu dieser Entscheidung geführt haben mögen.
Trotzdem regt ein solcher Fall zum Nachdenken an. Darf ein Musiker sich überhaupt über die Arbeit seiner Kollegen echauffieren?
Und wenn nicht er, wer dann? Ein Laie, der nicht Dur von Moll unterscheiden kann oder Double-Bass für eine Band mit zwei Bassgitarren hält? Oder spielte in diesem speziellen Falle doch das kommerzielle Kalkül eine Rolle? Es gab nämlich noch eine positive Review zur selben Scheibe vom selben Magazin. Das Label, unter dem das Album veröffentlicht wurde, ist durchaus bekannt dafür, dass Magazinen – die zu oft negatives Feedback zu deren Künstlern gaben – mit Liebesentzug gedroht wurde.
Glücklicherweise wurde auch Nina auf diesen Fall aufmerksam und machte sich ihre eigenen Gedanken dazu:
Dass es nicht ganz so einfach sein kann, gleichzeitig eine Profession auszuüben und über sie zu berichten, wird mir langsam klar. Dank des besagten Vorfalls fange ich an, mir überlegen zu müssen, wie sich meine journalistischen Ideale an dieser Stelle stecken lassen. Was auch immer „globale“ journalistische Ideale hinsichtlich Berichterstattung sein mögen, ich bezweifle, dass sich so etwas im Rahmen eines doch sehr legeren Onlinemagazins konsequent durchziehen ließe. Ich versuche es dennoch und erkenne, dass es Reibungspunkte zwischen „so sollte es sein“ und „so ist es“ ergeben.
Ihr merkt, man hat es schon nicht leicht, so als Redakteur.
Erst recht nicht, wenn man in einem Ressort arbeitet, in dem man sich sowieso einen Großteil seiner Zeit bewegt. Ja, ich schreibe über Musik. Ich rezensiere Platten, ergieße meine Meinung über Live-Erlebnisse und Beobachtungen von Geschehnissen in Texten. Ich bin aber keinesfalls so weit außenstehend, wie ich es mir zeitweise wünschen würde. Warum? Weil ich selbst Musik mache. Und damit beginnt doch das Dilemma.
Was zu dieser – meiner – Verklärung noch unangenehm dazukommt, ist die Tatsache, dass sich viele Musiker in meinem Umfeld bewegen. Das ist unvermeidbar.
Und die Welt ist verdammt klein, wie wir alle wissen.
Demnach kommen auch gern mal persönliche Verbandelungen ans Tageslicht, die die Unbefangenheit, mit der ich meine Arbeit anpacken möchte, durchaus infrage stellen könnte. Bislang stelle nur ich die in Frage. Wie rufschädigend ist es aber für mich als Schreiberling, wenn mir jemand (vermeintliche) Verbandelungen nachsagt, die irgendwann mal für gute Bewertungen gesorgt haben?
Da wären wir beim Thema Befangenheit und Subjektivität. Natürlich bewerte ich Platten subjektiv, habe aber den Anspruch, meine Meinung mit dem Erläutern von Sachverhalten, seien es Produktionsart, Musik-Genre oder technische Ausgefuchstheit, zu belegen. Das heißt, dass ich darauf achte, nicht nur zu sagen: „Die find ich kacke, weil die Musik mir nicht gefällt.“ Wenn ich allerdings die Band kacke finde, weil alle Mitglieder arrogante Wichser sind – oder andersherum: ich find die Typen einfach heiß und bin hochgradig verknutscht – kann und darf ich dann noch ein Album von ihnen bewerten? An welcher Stelle muss ich so verantwortlich sein und die Review-Anfrage ablehnen?
Befangenheit geht aber auch auf einer anderen Ebene: Muss ich bekannten Bands eigentlich immer gute Bewertungen geben, nur weil sie alte Hasen im Geschäft sind?
Weil mich dann das Label lieb hat? Letzteres ist mir wirklich Wumpe. Ersteres muss abgewogen werden. Aber: warum ist das so unüblich, bekannten Bands durchaus mal eine 3/10 oder weniger reinzudrücken? Ich erinnere mich hier nur an Alex‘ Artikel zum Thema Vergleichbarkeit. Ja, auch ihr großen Bands müsst euch vergleichen lassen! Vielleicht sogar unter schärferen Bedingungen, als kleinere Bands? Ihr wisst ja immerhin schon, wie es geht.
Und da geht der Ritt gleich weiter: Welche Bewertungsmaßstäbe setze ich selbst an? Wie wichtig ist Technik für mich? Produktion? Songwriting? Atmosphäre? Kann sich ein so komplexes Konstrukt wie Musik, bzw. eine Veröffentlichung, überhaupt in solche Kategorien aufsplitten lassen?
Zu einer Band gehört zudem mehr als die aktuelle Produktion. Was bewerte ich eigentlich die ganze Zeit? Die Veröffentlichung alleine? Oder sehe ich die im Kontext mit anderen Alben des Künstlers oder der Künstler? Im Vergleich zu Live-Erlebnissen? Im Vergleich zu anderen Genre-Vertretern? Je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr bezweifel ich, dass eine umfassende Bewertung im Rahmen eines gut lesbaren Artikels möglich ist.
Ich verzettel mich ja schon bei den Grundlagen vom Hundertsten ins Tausendste.
Interessant ist, und das möchte ich noch anmerken: an der Frage, wie ich eine mir bekannte Band bewerte, scheiden sich tatsächlich die Geister. Das hängt an der Profession. Ein befreundeter Musiker empfand es als Verrat an der eigenen Band, dass besagter Schreiberling der Headliner-Band eine unterirdische Bewertung verpasst hatte. Immerhin wollte seine Band mit denen auf Tour gehen. Es sei ja deutlich „netter“, einer befreundeten Band eine gute Bewertung zu geben. Warum? Steigere ich mich weiter in den Gedanken hinein, könnte ich vielleicht an dieser Stelle noch mehr Vetternwirtschaft erkennen, die unter Musikern üblich ist: „Wir nehmen euch auf Tour – ihr seid uns jetzt ne gute Publicity schuldig.“ Wie gesagt, das muss ja nicht mal so gedacht gewesen sein. Vielleicht hat die eigene Band den Schreiberling auch in die Pflicht genommen, um für positive Stimmung untereinander zu sorgen.
Doch zurück zum Professionsproblem: Ich kann die Haltung, befreundeten Bands zu „helfen“, nachvollziehen, teile sie aber in meiner Rolle als Autorin keinesfalls.
Ich will nicht nett sein. Ich will aufrichtig sein.
Und dazu gehört auch, zu sagen: Passt auf, ich finde die Band super, weil das tolle Leute sind, die ehrgeizig ihre Ziele verfolgen und dennoch menschlich geblieben sind – aber ich habe keine Ahnung von dem, was die Musik tatsächlich ausmacht, weil ich keine Ahnung vom Genre habe. Finde jemand anderen der deine/diese Platte bewertet. Punkt.
In Position von Band-Mitglied und Schreiber-Schrulle würden sich an dieser Stelle dicke Loyalitätskonflikte auftun, wenn ich die Review dennoch schreiben möchte oder sogar irgendwie muss! Inwieweit bin ich meiner Band verpflichtet, nicht Tourpläne zu durchkreuzen, weil der Headliner mir nicht schmeckt und ich das öffentlich mache? Wie loyal sollte meine Band mir gegenüber sein, auch wenn ich die Musik vom Headliner leiden kann (oder eben auch nicht), solange ich mich zwischenmenschlich angemessen verhalte und meinen Job auf der Bühne gut mache?
Richtig Nina, und wie loyal sollte das Magazin sein, auch die schlechte Kritik ihres Kollegen zu akzeptieren? Es kann jeder halten wie er will, nur für mich als Konsument ist es schlichtweg verwirrend, wenn zwei Reviews zur selben Platte im selben Magazin erscheinen. Klar gibt es auch im Online-Mag-Bereich Hahnenkämpfe, Neid und Missgunst und jeder versucht natürlich, die großen Labels bei der Stange zu halten und sich selbst ins rechte Licht zu rücken. Hier muss ich allerdings sagen, dass ich den Herausgeber [der auch das zweite, positive, Review selbst verfasste] recht gut leiden kann und ziemlichen Respekt vor seiner Arbeit habe, weswegen ich die da gefahrene Doppelschiene für absolut unnötig und despektierlich gegenüber a) dem Leser und b) dem Autor empfinde.
Selbstverständlich durften damals auch hier die allseits beliebten Klugscheißer ihren süßen Senf zur Thematik beitragen und Sätze wie:
„Und wir als Leser wollen ein ehrliches, offenes Review lesen!“
zum Besten geben. Lieber Mensch, der dies damals postete: Du hast vollkommen Recht! Im Nachhinein sehe ich deinen kompletten Kommentar als verzweifelten Versuch, die Wogen noch zu glätten, was ich durchaus als Plus verbuche. Trotzdem habe ich keine Ahnung, was Musik mit euch so anstellt. Bei mir verursacht Musik heftige Reaktionen, sei es im negativen wie im positiven Sinne. Musik vermag Collagen von Gedanken, Erinnerungen, Gefühlen zu erschaffen. Sie hilft mir, mein Leben zu meistern. Musik ist für mich die heile Welt, in welche die Irren und Schwachmaten keinen Zugang haben. Natürlich vermag nicht jeder Künstler, sei er noch so bekannt, hochbezahlt oder überkandidelt, diese Erwartungen zu erfüllen.
Und genau hier sollte ein guter Rezensent zu vermitteln wissen und diese – SEINE – Sicht der Dinge auch einfach nur niederschreiben dürfen. Ohne Zensur, ohne die Angst im Nacken, dass das persönliche Konsequenzen haben könnte.
Nachtrag: Aus Respekt vor allen Beteiligten werden wir weder Namen von Personen oder den Bands preisgeben. Aber ihr wisst es ja eh schon …
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