MOTHER ENGINE – Übergriff der Weltraummaschinisten

MOTHER ENGINE – Hangar
Veröffentlichungsdatum: 29.09.2017
Dauer: 77:19 Min.
Label: Heavy Psych Sounds
Stil: Psychedelic/Prog Rock

Plauen – eine Stadt im Vogtland, die eigentlich nichts mit dem großen weiten Weltall zu tun hat. Dennoch haben es sich 3 Jungs aus der Gemeinde auf die Fahne geschrieben, ein wenig außerirdische Energie in der sonst doch recht kargen Kreisstadt freizusetzen. Nachdem ihr letztes Album „Absturz“ mit dem Titel „Hangar“ endete, haben es sich die Burschen leicht gemacht und ihr neuestes Werk ebenfalls auf „Hangar“ getauft. Dass das nicht irgendwelcher zusammenhangsloser Stuss ist, beweist schon der Opener „Prototyp“. Hier wird nahtlos an das Vorgängeralbum angeschlossen, welches die MOTHER ENGINE auf dem Wüstenplaneten „X Alpha Wolf 538“ abstürzen ließ.

Was ich erwarte …

Mittlerweile sind Alben mit einer Spielzeit von über einer Stunde eine wirkliche Rarität geworden. Kaum ein Album überschreitet mehr die magische 50 Minuten-Marke. Als ich sah, dass „Hangar“ sich weit über eine Stunde zieht, war ich mir nicht sicher, ob ich diese Klangreise ohne Gliederschmerzen überstehe. Ich meine schon, dass überlange Songs ihren ganz besonderen Reiz haben, aber 4 Songs in 77 Minuten sind schon harter Tobak. Noch dazu, weil die Vogtländer gänzlich auf Gesang verzichten und lediglich ihr Können an den Instrumenten sprechen lassen.

Was ich bekomme …

MOTHER ENGINE schaffen es, dass ich in den 77 Minuten die verschiedensten Weltraumlandschaften durchreise. Es braucht keine Worte, um zu verstehen, was jeder einzelne Song ausdrücken soll. Allein die Riffs, Takte und Effekte lassen erahnen, dass das neue Mutterschiff schon kurz nach der Fertigstellung mindestens genauso rund läuft wie die alte Kiste, die es ja zerlegt hat. Aber warum sollen wir alten Sachen nachtrauern, wenngleich das neue Werk doch viel stabiler und mächtiger wirkt.

Abgespacete Typen

Musik für Maschinenbaustudenten

Natürlich ist die Planung eines neuen Raumschiffes nichts für Unwissende. „Prototyp“ eröffnet „Hangar“. Im Hangar herrscht ein wildes Treiben und man hört die Mitarbeiter, wie sie gestresst die Außenhülle des neuen Spacetaxi in Form bringen. Das Gehäuse steht, also geht es ab in den Windkanal. Schnittig, dynamisch und doch tonnenschwer präsentiert sich der Opener. Auch wenn es noch Ecken und Kanten gibt, steht für mich fest, dass das neue Fluggerät deutlich leistungsstärker durch die Sphären schwebt. Schon jetzt wird mir klar, dass diese Reise niemals langweilig werden kann, denn die Jungs setzen innerhalb kürzester Abstände Akzente, die einen dicken Stempel auf meinem Trommelfell hinterlassen. Auch unter starker Belastung zeigt die neue MOTHER ENGINE keine Schwächen. Die Plauener wissen, wie sie mich mit greifbaren Stoner-Riffs und bluesigen Parts erreichen können!
Ohne Treibstoff geht natürlich nichts! „Biosprit“ nennt sich der nächste Titel. Ich spüre, wie jeder Tropfen des durchaus flüchtigen C2H6O durch die Leitungen des Schiffs fließt und es flugtauglich macht. Langsame, atmosphärische Riffs verdeutlichen mir dieses Szenario, ehe klirrende Gitarrensaiten das Luftgefährt zum ersten mal zum Leben erwecken. Jetzt wird es deutlich ruppiger. „Biosprit ist schon deutlich dynamischer als noch der Opener, was vor allem durch postrockige Passagen zustande kommt. Auch während dieser 18 Minuten kommt keine Langeweile, sondern eher Schrauberlaune, auf.

Jetzt, wo alle Leitungen befüllt sind und die Maschinen auf Hochtouren laufen, wird mit „Tokamak“ das unterstützende Bauteil zugeschaltet. Tokamak? Ohne Wikipedia hätte ich auch nicht gewusst, was das sein soll. Es handelt sich dabei um einen Fusionsreaktor. Die Jungs gehen also auch mit der Zeit und setzen umweltschonende Alternativen ein. Nicht übel! „Tokamak“ glänzt mit fuzzig-bluesigen Riffs, die flüssig und einleuchtend sind. Von Minute zu Minute steigert sich dieser Song schon fast zu einem Doom-Hit, ehe das Konstrukt eingerissen und von Blasinstrumenten ein hymnischer Psychedelic-Part eröffnet wird. Richtig wild wird der Titel nochmal zum Ende hin. Spätestens jetzt wird auch jeder Physikstreber passen müssen. Der Song endet mit einem Part namens „Lawson Kriterium“. Mindestens genauso wild wie der Part ist auch die Definition des Lawson Kriteriums. Zieht es euch bei Wikipedia einfach mal rein.
Mit „Weihe/Leerlauf“ geht „Hangar“ dann auch „schon“ wieder zu Ende. Anders als bei den vorherigen Songs, ist dieses Stück nicht noch einmal in Untertitel gegliedert und benötigt überhaupt keine Anlaufphase. Das technische Konstrukt ist mittlerweile eingelaufen und schwebt durch das All. Zum Abschluss wird nochmal alles an Einflüssen zusammengekehrt. Space, Psych, Prog, Post, Stoner – alles darf hinein. Die neue MOTHER ENGINE läuft rund und setzt ihre Reise in die Unendlichkeit fort. Ich bin sehr gespannt, was mich auf dem nächsten Album der Jungs erwarten wird!

MOTHER ENGINE auf Facebook
MOTHER ENGINE auf Bandcamp

 

Autorenbewertung

7
Der wilde Ritt geht mit "Hangar" nun also weiter. Nachdem die alte MOTHER ENGINE den Geist aufgegeben hat, wurde ein neuer Stahlkoloss geschaffen, der viel dynamischer unterwegs ist als seine Vorgängermodelle. Zu keiner Sekunde dieser Platte vermisse ich auch nur ansatzweise einen charismatischen Sänger, denn die Vogtländer verstehen es blendend, die Spannung immer wieder hochzufahren und sie in einem eingängigen Riff explodieren zu lassen. Schon lange hatte ich nicht mehr so ein Kopfkino bei einem Album!
ø 4.2 / 5 bei 3 Benutzerbewertungen
7 / 10 Punkten

Vorteile

+ fetter Sound
+ Cover
+ ein auf und ab der Stimmung
+ entspannend, aber nicht einschläfernd
+ trotz der Länge sehr eingängig

Nachteile

- nichts für zwischendurch
- Übergänge teilweise zu abgehackt, wodurch gelegentlich der Flow abhanden kommt

Du liest diesen Beitrag, weil unsere Autoren lieben, was sie tun - wenn du ihre Arbeit liebst, kannst du uns, wie andere schon, unterstützen. Wie? Mit einem kleinen monatlichen Beitrag über Patreon
Die mobile Version verlassen