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RAMMSTEIN – Comeback zu alter Stärke?
Rammstein – „RAMMSTEIN“
Veröffentlichungsdatum: 17.05.2019
Länge: 46min
Label: Universal
Genre: Industrial/Neue-Deutsche-Härte
„Ich seh dich an und mir wird schlecht!“ So singt Till Lindemann auf dem neuen, lang erwarteten RAMMSTEIN Album. Ob das dem Hörer auch so geht, wenn er sich das Cover von „RAMMSTEIN“ ansieht, klären wir hier. Ganze 10 Jahre hat es gebraucht, bis die Neue-Deutsche-Härte Ikone aus Berlin wieder neues Material in Form einer Platte präsentiert. Die Mainstream-Medien stürzten sich bereits wie die Piranhas auf die Promo-Provokation. Beginnend mit einer kontroversen Szene im Musikvideo zu „Deutschland“: Als Inhaftierte eines Konzentrationslagers sorgte die Band für Furore. Dass RAMMSTEIN Skandal immer noch genau so gut kann, wie in der letzten Dekade, steht also fest. Aber gilt dasselbe für die Musik?
Rammstein mit politischen und sozialkritischen Texten
Wenn man sich RAMMSTEIN vornimmt, ist es schwer unpolitisch zu bleiben oder die sozialkritischen, durchdachten Texte zu ignorieren. Es gehört, genau wie das tiefe, raue Kratzen von Till Lindemann, zu der Identität der Band. Daran hat sich in 10 Jahren relativ wenig verändert. Der erste Track des Albums, „Deutschland“, beweist das mit Bravour. Melodische Synthesizer, begleitet durch galoppierende Riffs, treiben den Song nach vorne. Mit dem Songtext sagt RAMMSTEIN allen Nazi-Vorwürfen ab und gibt Denkanstoß zum Thema Nationalismus.
Alles beim Alten also? Keinesfalls! Während „Deutschland“ noch nach Bekanntem mit mehr Elektronik klingt, geht „Radio“ einen Schritt weiter. Die Hommage an KRAFTWERK legt den Fokus auf das Keyboard. Durch die RAMMSTEIN-Trademark Gitarren und Oldschool-Synthesizer, entsteht hier ein garantierter Ohrwurm. Der Kopf nickt irgendwann von selber mit. Auch der Text ist, besonders mit Blick auf die Bandgeschichte, gewitzt und authentisch.
Rammstein experimentiert mit Synthesizern und Elektro-Elementen
Neben Kritik an der christlichen Kirche („Zeig dich“), dem obligatorischen Lied über Bienchen und Blümchen („Sex“) und ein paar Ausflügen in die Gedankenwelt eines Gestörten („Puppe“, “Hallomann“), zeigt RAMMSTEIN dieses Mal auch eine melancholischere Seite: Diamant schlägt ungewohnt ruhige Töne an. Durch Lindemanns Stimme und einigen Streicheinlagen wird der Song zu einem gelungenen Liebessonnett.
In Sachen Inszenierung und Theatralik bewegt sich die Band auf alt bekanntem Niveau. Die Musikvideos sind oscarreif („Deutschland“) und die Texte pompös, jedoch mit kleinen Aussetzern („Weit Weg“, „Was Ich Liebe“). Die Berliner haben sogar den Mut, nach 10 Jahren Wartezeit eine Ballermann-Parodie für die Disco („Ausländer“) zu schreiben. Der dreckige RAMMSTEIN-Humor ist also längst nicht verblasst.
Simple Gitarrenriffs trotzdem noch vorhanden
Dass die Bandmitglieder in ihren späten Tagen ein wenig experimentierfreudiger wie sonst sind, kommt dem Album hauptsächlich zu gute. In vielen Songs sticht der Synthesizer raus. Das Elektronische dominiert sogar hin und wieder („Radio“,“Ausländer“). Wer sich nun sorgt, der sollte wissen, dass die Erfolgsformel immer noch vorhanden ist. Die kühlen, unkomplizierten Akkorde aus dem Verstärker hauen oft genauso in die Magengrube wie damals, auch wenn vereinzelt weniger aggressiv.
Trotzdem gibt es Ecken und Kanten. Nach einer starken ersten Hälfte, mangelt es im zweiten Teil der Platte an dem, was die Band am besten kann: Laut, brachial und eingängig. Geschuldet ist das den ruhigen, antriebslosen Strophen, wie in „Was Ich Liebe“ oder „Weit Weg“. Fans der frühen Stunde suchen die RAMMSTEIN-Härte hier ohne Erfolg. Die Idee ist zu begrüßen, die Ausführung enttäuscht vereinzelt. Deswegen verschwinden einige der Songs bereits nach dem ersten Durchlauf aus dem Gedächtnis.
Vor allem bei den seichteren Songs wird Potenzial verschenkt
Dass „RAMMSTEIN“ die Gemüter der Fans spalten wird, steht außer Frage. Nach langer Pause ein Album vom Fließband abzuliefern, dass nicht vom alten Material zu unterscheiden wäre, wäre aber definitiv die schlechtere Alternative gewesen. Insgesamt ist die Innovation also zu begrüßen. Die Synthesizer rücken mehr in den Vordergrund und die Songstruktur bietet Platz für Experimente.
Im Kern mancher Songs bleibt jedoch das meiste beim Alten: Anstößige Texte, simple Takte und sozialkritische Themen. RAMMSTEIN zeigt, dass einfache Gitarrenriffs und basslastige Gesangseinlagen auch noch in 2019 Spaß machen können. Highlights, wie „Deutschland“ und „Radio“ , unterhalten selbst in Dauerschleife. Diese Qualität zieht sich aber nicht über das gesamte Album, auf dem die Band deutlich gezähmt erscheint: Weniger Ekelfaktor, weniger Schock und weniger brachiales Industrial-Theater.
Das abgespeckte Album-Cover verrät dem Hörer was ihn erwartet: Das Feuer wird durch das Streichholz suggeriert, bricht jedoch nie aus. Ähnlich verhält es sich in der Musik. Atmosphäre und Build-Up schaffen Spannung, die meist im Refrain für einen Ausbruch sorgt. Ein Feuerball im alten Stil bleibt aber aus. Statt Waldbrand gibt es hier Streichholzflamme. Ob einem diese Spielchen zu blöd sind und man sich lieber unverminderte Härte wünscht, muss jeder für sich entscheiden. Eins ist aber klar: RAMMSTEIN polarisiert!
Autorenbewertung
Vorteile
+ Ohrwurmgarantie
+ gewohnte Rammstein Stärken
+ kein Album vom Fließband
+ intelligente Themen (Nationalismus, Prostitution)
Nachteile
- nicht jedes Riff überzeugt
- ausgelutschte Themen (Kirche,Voyeurismus)
- dieses gewisse "Meh" nach einigen Songs
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