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Aus dem Tagebuch eines Konzertfotografen
Man trifft sie auf fast jeder musikalischen Veranstaltung. Der eine hasst sie, der andere will nichts lieber als ihre Aufmerksamkeit: Konzertfotografen. Ein geheimnisvolles und durch und durch seltsames Trüppchen, wie sie da im Graben stehen mit ihren überlebensgroßen Kameras und Objektiven, stimmts?
Nun, ich gehöre selbst seit einer Weile zu diesem erlauchten Kreis und wie es in der Vergangenheit schon mit der seltenen Gattung der Festivalcrew geschehen ist, will auch ich euch etwas Einblick in dieses Grüppchen verschaffen, das sich nach spätestens 3 Songs regelmäßig dem Beobachtungsspektrum des Zuschauers entzieht. Dazu habe ich ein paar Kollegen mit an Bord geholt, die für euch mal eine Runde aus dem Nähkästchen plaudern. Zu allererst aber ein paar Fakten zu dieser seltenen Art.
Die Welt durch den Sucher betrachtet
Für einige stören sie die Stimmung auf der Bühne, aber ohne sie ist auch alles doof. Konzertfotografen haben an sich kein leichtes Leben. Ihr als sicher gewähntes Territorium des Bühnengrabens wird nur allzu oft von herumfliegenden Menschenteilen durchbrochen. Und während der friedfertige Konzertfotograf doch nur seine Bilder machen möchte, kann es schon mal passieren, dass er einen festen Tritt von einer anderen Gattung bekommt, mit der er sich seinen Lebensraum teilt: den Securitys.
Die sind den Kameramännern und -frauen gegenüber zwar meistens friedlich gestimmt. Kommt es jedoch zu einem Eingriff durch Crowdsurfer in das empfindliche Biotop, sind sie sofort zur Stelle und dafür zuständig, diese besonders abenteuerlichen Mitglieder des Publikums schnellstmöglich abzufangen und des Grabens zu verweisen. Da stehen die meist völlig bühnenfixierten Fotografen nunmal im Weg herum. Aber auch seitens der von ihnen so angebeteten Stage drohen ihnen Gefahren – dazu jedoch später mehr.
Das Equipment
Kann nicht grundsätzlich jeder Konzertfotograf werden, der eine Kamera besitzt? Ja und nein. Die außergewöhnliche Situation, die wir vor die Linse bekommen, erfordert eine spezielle Ausrüstung, die auch nicht immer ganz preisgünstig ist. Lichtstarke Objekive, ein schneller Autofokus, am besten noch mit Bildstabilisator: All das kostet. Die Investition in das richtige Equipment zahlt sich allerdings aus, vor allem, da die Lichtsituation auf der Bühne meist eher bescheiden ist und der Nebel dichter als auf einem Tümpel in den schottischen Highlands.
Außerdem erfordert die Arbeit als Konzertfotograf eine enge Zusammenarbeit mit Veranstaltern und gegebenenfalls auch der anwesenden Presse. Um im Graben fotografieren zu dürfen, braucht es oft eine Erlaubnis vom Veranstalter (Akkreditierung) und die Bilder müssen rechtzeitig abgeliefert werden. Und das kann bei der Zahl an Veranstaltungen und Bands, die man als aktiver Fotograf mitnimmt, ganz schön happig werden.
Bei mir springen für ein kleines 3-Tages-Festival gerne mal 11.000-12.000 Bilder heraus, die alle gesichtet und gegebenenfalls noch eine Runde durch Photoshop geschoben werden wollen. Auch hier ist die Verwendung der richtigen Speichermedien wichtig: Ist die Speicherkarte voll, ist sie voll – und am besten hat man sowieso gleich Computer und Festplatte am Start, um die Bilder regelmäßig von der Cam zu ziehen. Ihr seht also: Die Arbeit eines Fotografen hört nicht auf, wenn er den Graben verlässt – sie fängt gerade erst an.
Equipment steht – Was nun?
Gute Fotos brauchen Übung und Erfahrung. Die ständig wechselnden Lichtverhältnisse erfordern einen geübten Umgang mit der eigenen Kamera. Das Fotografieren im manuellen Modus (M) ist da Standard – und da muss man sich eben erstmal reinfuchsen. Ist das geschafft und sitzen die Motive, seid ihr schon fast on board.
Lediglich ein paar elementare Verhaltensregeln gelten im Bühnengraben. Die sind unausgesprochen und ungeschrieben, aber (fast) jeder Konzertfotograf hält sich daran. Beobachtet mal das Treiben in der 0. Reihe, vielleicht findet ihr sie selbst heraus.
Die Vorteile
Eine Sache bleibt unumstritten: Die besondere Erfahrung. Man ist näher dran am Geschehen, teilt sich seinen hart erkämpften Quadratmeter meist nicht mit 5 anderen und gerade als kleine Person erlebt man die Bühnenperformance endlich mal in voller Gänze – nicht nur zwischen den Köpfen anderer hindurch. Außerdem bekommt man als Fotograf oft (nicht immer!) Zugang zum Backstagebereich, wo man sich ein ruhiges Eckchen zum Arbeiten und Ausruhen suchen kann (wie langweilig!) und Getränke oftmals einen Deut billiger erhält.
Auch spart man sich auf manchen Veranstaltungen den Eintritt. All das ist jedoch immer abhängig von der Gunst des Veranstalters! Natürlich kommt man automatisch auch in Kontakt mit anderen interessanten Persönlichkeiten, die man sonst vielleicht eher nicht treffen würde, so zum Beispiel mit Musikern, die sich über die Fotos freuen und anderen Fotografen, mit denen man sich über die neuesten Entwicklungen im Fotografiebusiness austauschen kann.
Die Nachteile
Zu allererst: Es ist ein teures Hobby. Wie schon erwähnt, sorgt das Equipment nicht selten für das eine oder andere zu verschmerzende Loch im Portmonee. Außerdem (Achtung: hier kommt jetzt das große Jammern!) ist es eine anstrengende Berufung: Man steht sich den ganzen Abend die Beine in den Bauch und hält sich dabei regelmäßig Kameras und Objektive vor die Nase, die nicht selten ein Kilo oder mehr wiegen – das geht auf die Arme, glaubt es mir!
Außerdem hält sich der Festival-Spaßfaktor eher in Grenzen. Sich zu besaufen ist nicht drin und auch mit Bekannten herumhängen ist nur so lange möglich, bis die nächste Band zum ersten Stück ansetzt. Zum Schluss ist es auch kein ganz ungefährlicher Job: Nicht selten bekommt man den handfesten Optimismus des Publikums zu spüren, und dabei trägt man doch tausende Euro teures Equipment mit sich herum. Da muss man schon ein bisschen schmerzfrei werden. Auch hat nicht jeder wild auf und vor der Bühne herumturnende Musiker die Linsenzyklopen im Blick (und umgekehrt). Das klingt zwar blöd, aber hängt ein Fotograf vor dem Sucher, sieht er nur sein Motiv – sonst ist er quasi blind. Und bei Bands wie CARACH ANGREN fühlt sich das Fotografieren, eingezwängt zwischen Hebebühnen und einigen anderen hilflosen Fotografen, eher wie ein Spießrutenlauf an.
Warum gibt es nicht mehr so viele Fotos vom Publikum? Die DSGVO
Ein lästiges, aber von Zuschauern häufig angesprochenes Thema, dieses komische Gesetz. Niemand weiß so richtig, für wen es gilt und für wen nicht. Wer damit noch nichts anfangen kann: Die neue Datenschutzgrundverordnung der EU, die seit Jahresbeginn in Kraft getreten ist, ist die unsichtbare Geißel eines jeden Fotografen. Das Ablichten von Personen ist – vereinfacht gesagt – nur noch mit deren schriftlichem Einverständnis erlaubt. Das ist in unserem Bereich schlichtweg unmöglich. Auch mit veränderten AGBs seitens der Veranstalter, die deutlich auf das Erstellen von Publikumsfotos durch Fotografen hinweisen, kann man das Gesetz nicht umgehen.
Natürlich sagt ihr jetzt: Ich verklage doch keinen Konzertfotografen. Ich freue mich, wenn ich auf den Fotos bin! Das ist leider nicht der gesetzliche Alltag. Die Vergangenheit hat in ähnlichen Fällen bereits gezeigt, dass es Kanzleien gibt, die sich gezielt auf solche Fälle spezialisieren könnten – ganz gleich, ob sich der Fotografierte gestört fühlt oder nicht.
Was machen wir nun? Viele halten den Rummel um die DSGVO für unbegründet und einige machen und veröffentlichen weiterhin Fotos vom Publikum. Die Wahrheit ist: Keiner weiß, was in Zukunft zu diesem Thema noch geschehen wird. Also warten wir alle ab.
Die Helden der Kamera
Nun aber genug von mir. Ich lasse hier ein paar Kollegen sprechen – schließlich sind wir ein recht geschlossenes Grüppchen. Man kennt sich, jeder hat andere Anekdoten auf Lager. Hier soll den eifrigen Knipsern mal ein kleiner Altar geboten werden.
Warum bist du Konzertfotograf geworden?
Die Berichte hat damals noch ein Kollege geschrieben, da ich mich bereits damals eher fürs Fotografieren interessiert habe. Mir war und ist immer wichtig, die Musik der Künstler in Bildform wiederzugeben. Ich versuche, mit der Fotografie und der dazugehörigen Nachbearbeitung nicht nur das Gefühl auf dem Konzert oder Festival wiederzugeben, sondern auch die Stimmung der Musik.
Dein verrücktestes Erlebnis im Bühnengraben:
Das krasseste Erlebnis war, als 2011 auf dem Veldensteiner Festival bei der Band LETZTE INSTANZ der Mikrofonständer in den Bühnengraben abgestürzt ist.
Dieser war leider gut 30-40kg schwer und aus massivem Stahl. Diese Sense schlug nur knapp 20cm neben mir auf den Boden. Da bin auch ganz bleich geworden.
Martin Bärmann
Über mich: Ich bin seit Dezember 2016 unter dem Namen M.Bärmann als Fotograf unterwegs. Für mich ist das mehr als ein Hobby, sondern eher eine große Leidenschaft. Am meisten bin ich in den Bereichen Portrait/People und Konzert-/Eventfotografie tätig. Mich zieht das Düstere und Morbide sehr an, sodass ein Hauch davon fast immer in meinen Bildern zu finden ist. Letztendlich versuche ich mit meinen Bildern auch meine Gefühle zu verarbeiten.
Warum bist du Konzertfotograf geworden?
Zur Konzertfotografie bin ich durch ein befreundetes Pärchen (Arnaud Vansteenkiste & Anett S Caedes) gekommen, die beide als Fotografen tätig sind.
Sie sind aber auch großartige Musiker und so kam es, dass sie mir bei einem Auftritt ihrer Band HUMANTIAS ERROR EST einfach die Kamera in die Hand gedrückt haben.
Da die Bilder schon beim ersten Mal sehr gut angekommen sind und ich großen Zuspruch erhalten habe, hatte ich schnell Blut geleckt und habe mir dann auch meine eigene Ausrüstung zugelegt. Seitdem bin ich sehr aktiv als Konzertfotograf und am meisten auf Black- oder Death Metal Konzerten unterwegs.
Dein verrücktestes Erlebnis im Bühnengraben:
Das war eindeutig im Gibus Live in Paris zu einen Konzert von PSYCHONAUT 4 und NOCTURNAL DEPRESSION.
Jörn Rohrberg
Warum bist du Konzertfotograf geworden?
Die Konzertfotografie kam durch die Arbeit in einer Agentur zustande. Erst war es dokumentarische Arbeit, später kam ein eigenes Magazin und Arbeit für Bands hinzu, wodurch ich dann öfter auf Konzerten, Festivals und Parties unterwegs war.
Mehr und mehr kommt man dann in Kontakt mit Bands, Fans und Veranstaltern und erweitert so die eigene Scherbensammlung und Zubehör. Die Arbeitsweise auf Festivals ist gänzlich anders – und auch spannend – im Vergleich zu Werbeshoots oder „normaler“ dokumentarischer Fotografie.
Dein verrücktestes Erlebnis im Bühnengraben:
Gute Frage… Von Fans, die blank ziehen, über Musiker, die sich entschließen, der Security den Hoden auf die Glatze zu legen, bis zu rotzbesoffenen Fans in der ersten Reihe, die die Bezeichnung Wellenbrecher zu wörtlich nehmen… Oder aber auch nur das Festival, bei dem sich der Wettergott entschließt, Monsunregen auf pralle Sonne folgen zu lassen. Danke NCN 2016…
Ein paar Worte zum Schluss
Ich hoffe, ich konnte die Geheimnisse um die mysteriöse Zunft der Konzertfotografen mit dieser kleinen Kolumne etwas lüften. Vielleicht sind euch ein paar Gesichter aus dieser Liste bekannt vorgekommen? Wenn ihr mal wieder ein paar Kameramänner und -frauen über das Konzertgelände streifen seht, seid lieb zu ihnen! Die meisten von uns machen ihre Arbeit ehrenamtlich und ohne uns gäbe es von euren Helden nur verschwommene Handyaufnahmen aus der 4. Reihe.
Wer übrigens gerne mal andere Fotos von mir auschecken möchte, kann das hier tun.
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