Timo Bonner von OUR MIRAGE im Interview – „Es gibt immer einen Ausweg“

Ab auf die Couch! Es ist Zeit für eine Therapiestunde mit Timo Bonner, Frontmann von OUR MIRAGE. Ich durfte den Sänger der Melodic Hardcore-Band als eine überaus sympathische und inspirierende Persönlichkeit kennenlernen, die ohne Umschweife bereit ist, offen und ehrlich ein Stück ihrer Lebensgeschichte mit ihren Zuhörern und Lesern zu teilen.

S: Wie lange machst du schon Musik beziehungsweise schreibst Songtexte? Wie entstand daraus der Gedanke, eine Band zu gründen?

Timo: Mein Vater war Musiker. Er hat mir einiges auf den Weg gegeben und mich auch ein wenig unterrichtet. Das hat erstmal nicht so richtig gefruchtet, bis ich dann von selbst mal eine Gitarre in die Hand genommen habe. Irgendwann hab ich auch angefangen, ein wenig dazu zu singen, soweit das möglich ist mit drei Akkorden. Wenig später hab ich auch das Schlagzeug für mich entdeckt.
Ich schätze mal, ich war bisher in acht verschiedenen Bands, von der Schulband bis zur Punkband war da alles dabei. Als ich dann anfing, härtere Musik zu hören, hatte das natürlich auch Einfluss auf das, was ich machen wollte.

Ausstieg und Neuanfang

S: Bekannt geworden bist du mit FOREVER IN COMBAT, die du Anfang 2017 verlassen hast. Was war der Grund für deinen Ausstieg?

Timo: Der Hauptgrund war der, dass wir aus drei verschiedenen Ländern kommen. Fredrik wohnte in SchwedenMyungjae in Dubai und ich in Deutschland. Kennengelernt haben wir uns über YouTube, ich hatte damals einen Kanal namens „Shitty Covers 69. Und einer der Jungs hat mich irgendwann angeschrieben. Wir waren am Anfang nur so eine Internetband, die berühmte Metalcore-Songs gecovert hat. Durch die verschiedenen Wohnorte konnten wir einfach selten richtig zusammen proben und auftreten. Dadurch hat sich das Ganze für mich einfach nie angefühlt wie eine richtige Band.  

Fredrik, Timo und Myungjae, Gründungsmitglieder von FOREVER IN COMBAT.

S: „Our Mirage“ bedeutet so viel wie „Unsere Fata Morgana“ – was ist damit gemeint?

Timo: In den Songs geht es ja viel um Depressionen, Angstzustände, Mobbing und Ähnliches. Und die meisten Dinge davon sind Sachen, die eigentlich nicht dinglich sind. Also man kann sie nicht sehen oder anfassen. Depression, das ist eigentlich nur ein Gefühl, ganz rational betrachtet. Aber trotzdem ist sie da.
Und die Fata Morgana ist ja auch etwas, das nicht wirklich da ist, aber es ist trotzdem sichtbar und dann doch irgendwie da. Also ist das meine Metapher für solche Dinge wie Depressionen. 

S: Ihr widmet euch in euren Songtexten Themen wie Mobbing, Einsamkeit, Depression und Suizid. Warum habt ihr euch für diese Themen entschieden?

Timo: Ich schreibe die Texte und auch die Songs. Die Themen, die ich da behandle, sind eigentlich Dinge, die mir selbst wiederfahren sind. Viele dieser Dinge, wie das Alleinsein in der großen Stadt oder dass man jemanden verliert, den man liebt, das alles stürzt einen in ein sehr tiefes Loch.

In „Revivor“ geht es beispielsweise um Mobbing. Da erzähle ich meine Lebensgeschichte und wie ich zu der Person geworden bin, die ich heute bin. Da erzähle ich davon, wie ich von meinen Freunden verraten wurde, die mich zu Tode gemobbt haben quasi, sodass ich mich umbringen wollte mit zehn. Ich war zu der Zeit wirklich sehr stark depressiv.
Danach gab’s auch noch mal eine Phase, zu der ich in schweren Depressionen war, aber ich habe immer einen Weg da raus gefunden. Ich möchte mit den Songtexten quasi den Menschen zeigen, dass es immer einen Ausweg aus jedem noch so tiefen Loch gibt.
Für mich war es zum Beispiel damals ausschlaggebend, dass ich angefangen habe, Musik zu machen. Ich hatte damals auch meinen jetzt verstorbenen Hund bekommen, der sollte mir helfen, mich nicht mehr so einsam zu fühlen. Ich für mich selbst habe dann entschieden, dass ich das alles nicht verdient habe. Auch das ist eine Textzeile aus „Revivor“.

„Heutzutage bin ich eine der positivsten Personen, die ich kenne.“

Indem ich an die Zeit zurückdenke und darüber singe und spreche, möchte ich anderen Menschen etwas mit auf den Weg geben, ihnen meine Geschichte erzählen, wo immer eine positive Wendung drin ist. Einfach zeigen, dass es immer einen Ausweg gibt und Suizid nicht die Lösung ist, obwohl ich das damals auch vorhatte.  

Kein Blatt vor den Mund nehmen

S: Werdet ihr diese thematisch eher düstere Richtung beibehalten?

Timo: Ich denke, das war ein ausschlaggebender Punkt, warum wir mittlerweile recht erfolgreich sind. Dass wir dieses Thema anschneiden und kein Blatt vor den Mund nehmen. Das ist natürlich ein düsteres Thema, aber wie gesagt, wir wollen auch immer eine positive Message mit auf den Weg geben. Und ich denke, wir werden auch in den zukünftigen Songs und Alben diese Themen beibehalten, aber man weiß nie, was es für Eingebungen gibt, über die ich dann Lust habe, zu schreiben.

S: Eine sehr besondere Aktion war, dass du auf Facebook einen Aufruf gestartet hast, in dem du Fans darum gebeten hast, dir ihre Geschichten zu schicken, von persönlichen Erlebnissen, die sie bewegt haben. Daraus entstand der Song „Insecurity“.
Am 24.08. erscheint euer erstes Album, „Lifeline“ – Werden auch auf diesem Stories von Fans enthalten sein?

Timo: Nicht direkt, aber einen Song habe ich geschrieben wegen meiner Freundin. Sie ist ein Fan unserer Musik, also indirekt ist da auch die Story eines Fans drauf. Sie leidet schon ihr ganzes Leben lang an Panikattacken und hat mir beschrieben, wie sie sich dabei fühlt und wodurch die Attacken ausgelöst werden. Und ein Song, „Heartbeat“, handelt von genau diesen Sachen.

S: Der Aufruf zeigt auch, dass Fannähe für dich ein wichtiges Thema zu sein scheint. Wo liegen denn die Grenzen von Fannähe?

Timo: Die Grenze ist auf jeden Fall, Fans, die mich wirklich nur durch die Musik kennen, in mein Leben zu lassen. Obwohl es auch schon passiert ist, dass Fans zu meinen Freunden geworden sind. Das ist ganz schwierig! Wenn bestimmte Leute immer wieder zu unseren Shows kommen, dann freut man sich natürlich, die Gesichter wiederzusehen und dann entsteht natürlich auch irgendwo eine Freundschaft.
Aber ich glaube, ich würde niemals eine Beziehung mit einem Fan eingehen. Es ist schwierig, wenn Menschen einen nur durch die Musik kennen und schätzen. Ich möchte für die Person gemocht werden, die ich bin und nicht, für die mich Menschen halten.    

S: Wie lautet deine abschließende Botschaft an die Leser?

Timo: Die Botschaft, die ich immer predigen möchte, ist, dass jede Person der eigene Herr über sich selbst ist. Man muss jede Entscheidung im Leben selbst treffen und nicht alles hinnehmen, was einem das Leben gibt.
Das ist immer der erste und wichtigste Schritt, sich einzugestehen, dass man das alles überhaupt nicht verdient hat.

„Man kann selbst entscheiden, ob man in Depressionen versinkt oder ob man versucht, etwas dagegen zu unternehmen.“


Wie mir Timo außerdem verrät, sei auch ein bandeigener YouTube-Channel mit Vlogs und Tour-Updates fest in Planung. Von großen Vorhaben ist die Rede. „Da kann ich leider noch nicht ganz drüber reden, aber da kommt noch was.“ Worum es dabei wohl gehen mag? Bleibt gespannt!


Du liest diesen Beitrag, weil unsere Autoren lieben, was sie tun - wenn du ihre Arbeit liebst, kannst du uns, wie andere schon, unterstützen. Wie? Mit einem kleinen monatlichen Beitrag über Patreon
Die mobile Version verlassen