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Zukunft schaffen, Vergangenheit zelebrieren – HAKEN live erwischt
HAKEN + THE ALGORITHM + NEXT TO NONE
Rockhal – Esch-sûr-Alzette (LU)
12.04.2017
Was haben mich HAKEN im letzten Jahr mit „Affinity“ überrumpelt! Großes und charmantes Prog-Kino, das nicht unberechtigt eine Menge Lorbeeren in der Presse eingeheimst hat. Den anhaltenden Höhenflug und das zehnjährige Bandbestehen haben die Briten zum Anlass genommen, um eine Headliner-Tour aufzuziehen. Mit an Bord sind das französische Duo THE ALGORITHM und die jungen Aufsteiger von NEXT TO NONE, die nicht zuletzt dank Mike Portnoys Sohn Max Portnoy Hoffnung auf eine reife Darbietung wecken.
Zukunft entsteht
Noch etwas verhalten steigen NEXT TO NONE mit „Control“ ein. Jawohl, ein zehnminütiger Opener – wir sind ja heute im Prog unterwegs! Der Einstieg von „Control“ ist gewöhnungsbedürftig, doch innerhalb weniger Minuten zeigt sich, dass die Jungs ein beachtliches Niveau auffahren. Es dauert nicht lange, bis Max Portnoy hinter den Kesseln zu propellern beginnt, und ab diesem Moment ist das Eis auch schon gebrochen. Verdammt, die Jungs haben Spaß auf der Bühne, und das schwappt über! Musikalisch gibt sich die Truppe äußerst souverän, wobei der Prog-Rahmen oft von genre-fremden Einflüssen aufgebrochen wird – neuer Song mit Nu-Metal-Anleihen? Funktioniert!
Dass die ganze Angelegenheit dann auch noch so effektiv in Szene gesetzt ist, begeistert. An allen Ecken gibt es etwas zu entdecken: starkes Spiel am Bass – check –, gekonntes Posen am Keyboard – check –, konsequent ausgearbeitete Gesangsharmonien – double check! Noch dazu greift den Jungs ein wunderbar druckvoller Sound unter die Arme, sodass die halbe Stunde viel zu schnell vorbeizieht. Ein paar Unsicherheiten mag es gegeben haben, so hat etwa Bassist Kris Rank hin und wieder suchende Blicke zu den Bandkollegen geworfen und ist auch beim Backing-Gesang etwas zaghaft vorgegangen, ohne sich dabei wirkliche Blöße zu geben. Insgesamt haben die Jungs aber satt geliefert und gezeigt, dass sie – spoiler ahead – sich nicht vor dem Headliner zu verstecken brauchen.
Vorgefertigte Hörfreuden
Dass der Sound an diesem Abend gut ist, das wurde ja bereits erwähnt. Davon hat auch der Auftritt von Rémi Gallego und Jean Ferry gezehrt. Fiese Zungen könnten jetzt behaupten, damit habe es sich auch mit der Faszination. Stilistisch sind THE ALGORITHM zweifellos die Exoten des Abends, denn sie verbinden im Sinne des Bandnamens elektronische Anleihen mit harten Klängen der anspruchsvollen Sorte. Ja, es passt zu HAKEN, und ja, es klingt gut. Insgesamt nutzt sich die Chose aber recht schnell ab, insbesondere wenn man bereits in der heimischen Stube reingehört und sich so den Wow-Effekt vorweggenommen hat. Kühl betrachtet sitzt da halt ein Typ hinter seinem Drumkit, während der Kollege bevorzugt die tiefste Saite seiner Gitarre bearbeitet und gelegentlich an seinem Keyboard-Biest rumfummelt – der Rest kommt notgedrungen vom Band. Ja, es ist exotisch und alles, aber im Endeffekt drängt sich der Eindruck auf, nur die Rhythmus-Fraktion zu beobachten, während der coole Teil vom Band kommt. Sicherlich unterhaltsam, aber das Live-Erlebnis fehlt zu Teilen, wodurch es den faden Beigeschmack von Dorffest-Beschallung hat – nur eben stilistisch am anderen Ende des Spektrums. Noch dazu hält sich Rémi auch während der reinen Gitarren-Parts in seiner Ecke auf und verzichtet darauf, THE ALGORITHM optisch durch etwas Bewegung in Szene zu setzen.
Party gestern war gut, wie?
Es ist eines der letzten Tour-Daten, da kann man wohl davon ausgehen, dass HAKEN leicht erschöpft sind. Immerhin sind sie ja die Protagonisten, die Feiernden anlässlich ihres zehnjährigen Jubiläums. Die Party am Vortag ist offensichtlich gut gewesen, denn an diesem Abend wirken die Briten wenig spritzig. Beginnen wir mit dem positiven – sogar sehr positiven – Teil: Instrumental glänzen HAKEN und geben absolut keinen Grund zum Murren. Gerade das überlange Doppel aus „The Architect“ und „Cockroach King“ unterstreicht dies gegen Ende der Show und setzt mehrere Ausrufezeichen. Gesanglich wackelt die Show dagegen gewaltig: Frontmann Ross Jennings verhaut regelmäßig seine Töne, der Backing-Gesang macht es nur noch schlimmer. Gefühlt steckt nämlich überhaupt kein Konzept dahinter: Jeder hat ein Mikro da stehen und singt gelegentlich etwas hinein, Tonlage und Reihenfolge wurden vor der Show augenscheinlich ausgewürfelt. Fairerweise muss man sagen, dass es von einem Desaster weit entfernt ist, aber eine so auf Perfektion gebügelte Musik wie die von HAKEN zerbricht an solchen Unsicherheiten schneller als erwartet.
Auch mit der Feier ist es nicht weit her. Erscheint der Fronter beim grandiosen „1985“ zur Freude des Publikums mit schmuck leuchtender Brille samt Extra-Exemplaren für drei glückliche Zuschauer, wirkt die Show insgesamt mehr wie ein Konstrukt. Während der instrumentalen Passagen verlässt der Sänger regelmäßig die Bühne und hinterlässt damit ein riesiges Loch. Keyboard und Drum sind stationär, aber keiner der drei Frickelmeister kommt auf die Idee, das Loch in der Bühnenmitte aufzufüllen. Der Mann am Bass verschwindet im hinteren Bühnenabschnitt sogar gänzlich im Schatten. Was soll das, möchte man lauthals rufen! Durch das statische Bühnenbild wirkt alles umso mehr gekünstelt. Wenn Ross Jennings dann nach mehrminütiger Abwesenheit lustig springend mit seinem Mikroständer zum angestammten Platz in der Bühnenmitte zurückkehrt, rockt das einfach nicht. Exemplarisch für das merkwürdige Bühnenbild steht das kurze Gastspiel von Thomas Cuce während „The Architect“, wo er den Part von LEPROUS-Sänger Einar Solberg übernimmt. An und für sich ein richtig cooles Ding, das aber in seiner Ausführung nur halbgar wirkt: Der junge Sänger kommt auf die Bühne, singt seinen Part und geht wieder. Keine weitere Ansage, keiner der Musiker nimmt die geschenkte Gelegenheit für einen Ausflug über die Bühne wahr. Somit strahlt der Auftritt vor allem Kälte und Distanz aus.
Die Zeit ihres Headliner-Auftritts haben HAKEN mit ihrem hochklassigen Material locker gefüllt, aber gerade auf einer Anniversary-Tour tut so ein blutleerer Auftritt weh. Dass dann auch noch der Gesang den Eindruck einer perfekt agierenden Maschine zerbricht, macht die Sache nicht besser. Somit zerfällt auch der doppelte Boden, und die eigentlich sehr professionell agierende Band stößt an ein sehr ekliges Problem: Der Auftritt als Ganzes will nicht zünden. Wir erinnern uns: Gerade in dieser Hinsicht haben NEXT TO NONE auf dem Opener-Slot fleißig Punkte gesammelt.
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