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UNPROCESSED in Tokio: Bass Drum oder Erdbeben?

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Nach mehreren, unter anderem pandemiebedingten, Umplanungen ist es endlich so weit: Die Wiesbadener Metalcore-Virtuosen UNPROCESSED starten endlich ihre langersehnte Asientour, einschließlich zwei Konzerten in Japan. Die vierköpfige Band hat Stopps in Tokio und Osaka geplant und bietet neben ihren regulären Shows außerdem Masterclasses an. Eine ungewöhnliche, aber willkommene Ergänzung für eine Tour und vor allem spannend für Musiker, die den ein oder anderen Trick von UNPROCESSED lernen wollen. Da anderthalb Jahre Musikschule allerdings gezeigt haben, dass mein Talent für jegliche Art von Instrumenten sich in Grenzen hält, überspringe ich die Masterclass und berichte Euch lieber von UNPROCESSEDs erstem Konzert in Tokio

Willkommen in der Sardinenbüchse

Das Event heute ist seit längerem ausverkauft und die Wahl der Location überrascht mich, denn das Konzert findet im Club AntiKnock in Shinjuku statt. Eine nahezu legendäre Venue, vor allem für Underground Shows, aber auch räumlich begrenzt. Bereits beim Betreten des Clubs merke ich, dass das Layout etwas anders ist als üblich: Der Merchandise-Bereich befindet sich normalerweise direkt im Saal, wurde dieses Mal aber in einen Teil des Clubs verlegt, der normalerweise zum Backstagebereich gehört. Ich finde auch ziemlich schnell den Grund dafür, denn dank der ausverkauften Show ist die Kapazität des Clubs (ca. 300 Personen) komplett ausgereizt und die Leute stehen vom Saal bis in den Flur des Barbereichs. 

AntiKnock ist mittlerweile quasi mein zweites Wohnzimmer, aber so dermaßen voll habe ich den Club noch nie erlebt. Ihr habt bestimmt schon einmal die typischen Fernsehberichte von den vollen Bahnen in Japan und den berüchtigten Zugstopfern gesehen, oder? Genauso könnt ihr euch die Bude heute Abend vorstellen, brechend voll wie eine Sardinenbüchse, wie wir hier so schön sagen. Nach diesem Schock laufe ich auch direkt meinen Fotografenfreunden in die Arme, die mir heute Abend ziemlich leidtun. Ich glaube, das ist das erste Mal, dass ich froh bin, keine Fotos machen zu müssen. An dieser Stelle ein dicker Shoutout an LITCHI und JVN, die sich tapfer durch die Menge gekämpft haben und ihre Fotos für diesen Artikel zur Verfügung gestellt haben.

Live auf dem Fernseher im Backstage: SLOTHREAT

Die Überschrift verrät bereits, dass ich mir den Opening Act der Tour, SLOTHREAT, tatsächlich auf einem der Bildschirme im Backstage-/Merchandise-Bereich ansehe, weil es unmöglich ist, noch in den Saal zu kommen. Definitiv ein Wermutstropfen des heutigen Abends. Für eine Band wie UNPROCESSED wäre eine größere Location definitiv empfehlenswert gewesen. SLOTHREAT habe ich allerdings schon des Öfteren gesehen und sie gehören zu meinen absoluten Empfehlungen, wenn es um lokale Bands geht. Die fünfköpfige Band aus Tokio besteht seit 2019 und ist vor allem für ihren hybriden Sound bekannt. Das heißt: intensiver, teilweise Metalcore-artiger Sound geht Hand in Hand mit wirklich wunderschönen, teils sanften Vocals. Heute Abend stehen insgesamt 7 Songs auf der Setlist, also einmal quer durch ihre Diskographie der Band.

SLOTHREAT bieten musikalisch ein breites Spektrum an, was ihren Sound äußerst vielseitig und abwechslungsreich macht. Passend zum Headliner tendieren sie heute Abend aber zur härteren, technischeren Seite ihres Repertoires. Von dem, was ich auf dem kleinen Monitor im Backstage erkennen kann, scheinen auch die Zuschauer das Set von SLOTHREAT zu genießen. Ich bin in der Vergangenheit bereits Zeugin von intensivem Headbangen in den ersten Reihen geworden, welches nahezu choreographische Präzision erreichte. Aber gerade wenn Knaller wie „ILLUMINATE – (THEMIS Version)“ und „Harmonize“ auf der Setlist stehen wie heute Abend, ist das kein Wunder. SLOTHREAT haben eine eingeschworene Fanbase in Tokio. Ich kann jedem Raten, sich die Band einmal Live anzuschauen, wenn sich die Gelegenheit bietet. Alternativ gibt’s ja zum Glück Services wie Spotify und YouTube, auf denen SLOTHREAT vertreten sind. 

Exklusiv aus der PA Booth: UNPROCESSED

Ja, tatsächlich haben meine Begleitung und ich es noch irgendwie in den Saal geschafft. Zwar ohne Zugstopfer, aber mit reichlich Quetschen. Wir haben von den Veranstaltern freundlicherweise die Genehmigung erhalten, uns die Show von der PA Booth aus anzusehen, also buchstäblich zwischen dem Tontechniker und der Lichttechnikerin des Clubs. Tatsächlich war das auch die einzige Stelle, an der noch Platz war. Ich konnte bereits vor Beginn der Show einen Blick auf die Setlist erhaschen und war positiv überrascht. Insgesamt 17 Songs stehen heute auf dem Plan, das ergibt also ein Konzert von circa 80 bis 90 Minuten. Die Dauer ist für den Auftritt eines Headliners in Deutschland durchaus üblich, für japanische Verhältnisse aber ausgesprochen lang. Zum Vergleich: One Man Shows, also Konzerte, bei denen nur eine Band auftritt, dauern inklusive Zugabe mitunter nur eine Stunde. Natürlich variiert das von Band zu Band und es gibt auch längere Shows hier.

Aber genug des Vorgeplänkels, denn UNPROCESSED legen los und knüpfen mit „Hell“ und „Lore“ nahtlos ans Intro an. Schon während der ersten paar Songs kocht die Stimmung im Saal, obwohl die Zuschauer sich teilweise kaum bewegen können. Ich traue meinen Augen nicht, als ich bemerke, dass einige Crowd Surfer es tatsächlich in die Luft geschafft haben. Bei Highlights wie „Blackbone“ und dem kürzlich veröffentlichten „Snowlover“ ist es allerdings kein Wunder, dass sich das Publikum nicht halten kann. Auch meine Begleitung, Matsu, Gitarrist von GUNGIRE ist Feuer und Flamme. Er kann den technischen Aspekt von UNPROCESSED deutlich besser beurteilen als ich und ist begeistert von den Skills der Band. Die zwei Masterclasses, die zur Tour gehören, sind also eine einmalige Gelegenheit für Fans, die sich vor allem für den technischen Part interessieren. Aber UNPROCESSED reißen nicht nur durch reichlich Gitarrenaction mit, sondern auch mit eingängigen Vocals. Die kommen, neben den Gitarren, auch besonders gut zur Geltung, da beim Sound heute Abend nochmal eine Schippe draufgelegt wurde. Die Band hat nämlich ihren eigenen Sound Engineer mitgebracht, wodurch die Klangqualität ein neues Level erreicht.  

Vom Fotografen zum „Stage Diver Traffic Controller“

Mich überrascht vor allem der Kontrast zwischen den intensiven Screams und dem sanften cleanen Gesang von Sänger und Gitarrist Manuel. Zwischen all der Action verwandelt sich die Crowd vor allem während der ruhigen, melodischen Parts in ein Händemeer. Die Interaktion zwischen Band und Crowd ist makellos, es wird konstant miteinander interagiert und die Band feuert die Zuschauer weiter an. Was die Songauswahl des Abends angeht, kommen sowohl alte als auch neue Fans auf ihre Kosten, denn UNPROCESSED spielen sich einmal quer durch ihre Diskographie. Songs wie „Abandoned“ von dem 2019er Album „Artificial Void“ oder„Orange Grove“ von der 2022 veröffentlichten Platte „Gold“ gestalten die Setlist abwechslungsreich. Vor allem während der härteren Abschnitte der Songs vibriert es in der PA Booth teilweise so heftig, dass ich kurzzeitig überlege, ob es gerade ein leichtes Erdbeben gibt. Es stellt sich schnell heraus, dass es doch „nur“ die Bassdrum ist. Die Atmosphäre in der Booth spiegelt übrigens die Stimmung vor der Bühne wider: Die Jungs hier können kaum stillstehen, während weiter vorne – trotz Platzmangel – tatsächlich ein kleiner Moshpit entsteht. 

Als die Band das Publikum fragt, ob es „Lust auf etwas Verrücktes“ hätte, kocht die Stimmung über. UNPROCESSED rufen nämlich zum Crowdsurfen mit anschließendem Stagedive auf und wollen so viele Leute wie möglich nacheinander auf die Bühne bringen. Die Band erklärt die Regeln, wie die ganze Aktion ablaufen soll, damit es ein sicheres Erlebnis für alle Beteiligten wird. Und es geht direkt in die Vollen: Ich verliere sogar den Überblick, wie viele Beine da gerade gleichzeitig in der Luft sind. Leo, der Fotograf der Band, wird zeitweise zum „Air Traffic Controller“ nur eben für Stagediver auf der Bühne und mit Kamera und Blitz anstatt leuchtenden Stäben. An dieser Stelle übrigens ein großes Lob an die Band: Es wird konstant auf das Publikum geachtet und immer wieder gebeten, auf die Sicherheit aller zu achten. Vor allem, da es in dem überschaubaren Club keine Security gibt. Weder Band noch Zuschauer sind nach diesem Spektakel müde, stattdessen geben UNPROCESSED mit heftigen Breakdowns weiter Vollgas. Und die PA Booth bebt schon wieder. Ein weiteres Highlight der Show ist das improvisierte Gitarrensolo von Manuel, bei dem so manche Kinnlade kurz herunterklappt. UNPROCESSED liefern ein wahres Fest für Gitarren-Connoisseure ab. 

„Go f*cking wild!“

Das muss man dem Publikum heute nicht zweimal sagen. Nachdem es mit „Rain“ eine kurze Verschnaufpause gibt, geht es mit „Longing“ nämlich wieder in die Vollen. Auf einen weiteren Moshpit folgt dann auch das Konzertäquivalent eines Leg Workouts – kollektives Springen. Wie war das noch mit dem Erdbeben vorhin? Während des letzten Songs, „deadrose“, verwandelt sich der Saal in ein Lichtermeer. Definitiv ein schöner Anblick und ein gelungenes Finale. Kaum hat die Band die Bühne verlassen, schallt es im Chor „One more Song!“, denn die Crowd ist nach über einer Stunde Show noch nicht müde. Der Wunsch wird ihnen erfüllt und es gibt nicht nur einen Song als Zugabe, sondern zwei. Den Anfang macht „I Wish I Wasn’t“, der mit einer weiteren Überraschung daherkommt. Das Publikum wird aufgefordert, sich hinzusetzen und auf Kommando zu springen. Tatsächlich klappt das auch wunderbar und der Saal sitzt bis zur letzten Reihe. Nur wir in der PA Booth fallen negativ auf und stehen, weil Platzmangel. Und ich hab‘ Rücken, Ihr kennt das ja. Kurz darauf stelle ich mir zum dritten Mal heute Abend die Erdbeben-Frage, während das Publikum ein weiteres, intensives Beintraining absolviert. 

„Haven“, vom 2018er Album „Covenant“ leitet das Grande Finale des Abends ein. UNPROCESSED rufen ein letztes Mal dazu auf, alles zu geben, und die Crowdsurfer sind direkt wieder in der Luft. Wer dem Tokioter Publikum sagt „Go f*cking wild!“ kommt hier garantiert auf seine Kosten. Auch die Band wirbelt auf der kleinen Bühne noch einmal ordentlich herum und macht alles aus dem begrenzten Raum. Die Jungs sind dem Publikum extrem nah und es gibt reichlich Interaktion. Alle quetschen und drängen sich noch einmal nach vorne, und auf einmal gibt es Platz in den hinteren Reihen. Denn nachdem die letzten Töne gespielt sind, gilt es, Drumsticks und Picks zu fangen – heiß begehrtes Gut für die Fans. Ein letztes Mal wird kräftig in die Saiten gehauen, dann ist es Zeit für ein finales „Dankeschön!“ und UNPROCESSEDs erstes Konzert in Japan ist vorbei. Während es sich auf dem Weg zur Bar staut, tummeln sich einige Interessierte noch um das Pult des Sound Engineers und versuchen, einen Blick zu erhaschen. Eine gute Idee, dem Stau aus dem Weg zu gehen. Ich würde sagen, trotz der logistischen Schwierigkeiten war die Show ein voller Erfolg und das Publikum sichtlich begeistert. Sogar nach dem Konzert, wie man anhand der zahlreichen verschwitzen, aber strahlenden Gesichter erkennen kann. 

UNPROCESSED auf Tour mit AUGUST BURNS RED

Wenn Ihr UNPROCESSED ebenfalls live sehen wollt, habt Ihr diesen Sommer die Gelegenheit dazu! Im August werden UNPROCESSED nämlich die amerikanischen Core-Giganten von AUGUST BURNS RED als Support Act für insgesamt vier Konzerte begleiten, drei davon in Deutschland.

  • 05. August 2025 Frankfurt – Batschkapp
  • 06. August 2025 Berlin – Columbia Theater
  • 08. August 2025 Köln – Essigfabrik

Detaillierte Infos findet Ihr außerdem auf den Social-Media-Kanälen von UNPROCESSED sowie ihrer offiziellen Website. Wenn Ihr außerdem weitere Infos über SLOTHREAT wollt, schaut einmal auf ihrem Instagram- oder X-Account, oder ihrer Website vorbei.


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