MEAD & GREED 2024 – Der offizielle Bericht
Guten Abend Oberhausen!
Das Resonanzwerk öffnet erneut seine Türen für die Besucher des diesjährigen MEAD & GREED Festival! Und da simmer doch dabei. Bar und Fresstand laufen bereits auf Hochtouren, als wir ankommen – an Flüssigem gibt es neben unterschiedlichen Metsorten auch ungefähr fünf verschiedene Biere, und die Küche bietet Burritos, Grillzeug und Pommes mit einem Beilagenbuffet, das sich sehen lassen kann.
Doch erstmal gibt’s was auf die Ohren, denn kaum halte ich ein kühles Alt zwischen den Fingern, erschallen aus dem Inneren der Konzerthalle bereits die ersten Noten.
Und los geht’s!
BENEATH MY SINS weihen die Bühne ein, erstmal metalfrei, dafür aber mit verschiedensten Akkustikgeräten. Eine Geige, eine flachrückige Bouzouki und eine Akkustikgitarre geben den melodischen Ton an, während der Schlagzeuger reichlich kreativ drauflosgroovt. Im Hauptfokus aber liegt die Stimme von Sängerin Emma, und das nicht ohne Grund! Wahrhaft professionell lässt sie selbst die schwierigsten Töne zauberhaft erklingen und erinnert mich dabei im ersten Augenblick sogar ein bisschen an TARJA (Ex-NIGHTWISH).
Die Musik regt die bereits Anwesenden schon jetzt zum Tanzen an – die Franzosen bedienen uns mit viel Energie, und das ganz ohne Zerstörung. Ein passender Einstieg, Ohren und Geist sind nun warm und offen für mehr.
Sehnsucht nach den Blast Beats
Und bereits so früh im Line-Up erwartet mich mein persönliches Highlight des Festivals: CÂN BARDD. Dass mich diese Band aber so flashen würde, dass ich dies im Nachhinein sogar als den Höhepunkt meines bisherigen Jahres bezeichnen würde, damit rechne ich zu dem Zeitpunkt nur begrenzt. Diese Atmosphäre! Diese Schönheit! Diese Kraft, die von Songs und Musikern ausgeht, ziehen mich tief in sich hinein, walzen einmal quer über meine Seele und befreien sie von aller Schwere, die sich in den letzten Wochen in ihr angesammelt hat.
Es gibt zur Zeit kaum eine andere Band, die das auf so intensive Weise mit mir macht. Die melodischen wie die blastbeatgetriebenen Parts, die Chöre wie die mark- und beindurchdringenden Schreie, die schönen wie die finsteren Momente dieser meisterhaft geflochtenen Black-Metal-Melancholik lassen mich den eigenen Körper verlassen und in ferne Welten davonfliegen. Nicht selten finde ich mich in einem Kampf mit den eigenen Tränen wieder, und bald schon habe ich entschieden, ihnen einfach nachzugeben.
Dem Ganzen spielt ein grandios abgemischter Live-Sound in die Arme. Selbst in den ballerndsten Momenten dringen klar und deutlich Akkorde, Feeling und sogar die Vocals durch. Ordentlich Wucht ist da, und dennoch nicht so sehr, dass der Musik etwas dadurch verloren ginge. Es wohnt außerdem in einem Song als kleine Überraschung die Flötenspielerin von SAOR dem Spektakel bei, und lässt neben Flötenklang auch ihre eigene Stimme ein Teil des Spektakels werden.
Puha, das war episch. Ich muss erstmal raus an die frische Luft. Gedanken sammeln.
Rockstars im Pelzfrack
Eine knappe halbe Stunde später folgen MANNTRA aus Kroatien. Und ehrlich gesagt, ich habe vor dem Konzert überhaupt nicht damit gerechnet, dass eine solche Band existiert. Oder was mich erwarten würde. Oder überhaupt.
Mein erster Gedanke zieht in Richtung Industrial Rock oder Goth EBM. Aber irgendwie haben die auch Folk- und Mittelaltervibes? Warum erweckt der eine Gitarrist den Anschein eines stämmigen, tätowierten Rockstars, während der andere unter seinem bodenlangen Kapuzenumhang eine Skelettmaske trägt? Durch die er gelegentlich auch auf einer Schalmei herumtrötet? Der Sänger – ein oberkörperzeigender Schönling? Eigentlich könnte die Band auch beim European Song Contest auftreten, so mein nächster Gedanke. Jeder ihrer Songs hat Hitpotential, ist catchy, hat Mitsing-Parts und dauert radiotaugliche drei Minuten. Ich bin verwirrt. Vor allem bin ich verwirrt, dass es mir gefällt. Dieses Konzert ist ungefähr das Gegenteil des vorigen, aber vielleicht ist das auch genau, was ich im Anschluss an diesen brauche.
Das Partypotential wird mit Konfetti, einer Surfpartie des Skeletts auf der Crowd sowie einem halb-live performten Elektro-Track ausgeschöpft. Letzteren begleitet erwähnter Rockstar mithilfe eines Percussion-Soundpads. Im Publikum wird sich dazu die Seele aus dem Leib gemosht, und irgendwann springt er sogar selber (mit Gitarre) ins Getümmel.
Dieses Konzert fällt auf jeden Fall in die Kategorie „Dinge, die ich auf einem Folk-/Pagan-Metal-Festival nicht erwartet hätte“. Eigentlich entsprechen MANNTRA auch gar nicht so meiner Sparte von Musik, aber hey. Das war ziemlich cool.
Die Natur ruft
SAOR sehe ich heute zum ersten Mal. So ein paar Überschneidungen gibt es da mittlerweile mit CÂN BARDDs Line-Up, was erklärt, wieso beide Bands heute hier sind. Auch gewisse Ähnlichkeiten im Stil kann man nicht abstreiten. Umso mehr freue ich mich auf das, was bevorsteht. Mehr Atmosphäre, mehr Blast Beats. Was will man noch?
Bei dieser Kombination kommt (glaube ich?) musikalisch alles aus tatsächlichen Instrumenten. Gerade die oben genannte Flötenfrau waltet hier nicht nur ihres Flötenamtes, sondern bedient auch des Öfteren eine Art um den Bauch geschlungenen Dudelsack und, wie schon zuvor, trägt ihre Stimme viel zum atmosphärischen Gesamtkunstwerk bei. Alles in allem fallen SAORs musikalische Ergüsse abwechslungsreicher aus, als ich dachte!
Am Ende kann ich das Konzert dann doch nicht so genießen, wie ich es mir gewünscht hätte. Liegt es daran, dass ich über 30 bin und heute, am Ende einer Arbeitswoche, um 06:45 aufgestanden bin? Wahrscheinlich. Ich geb mir den Rest des Geschehens im sitzenden Zustand. Und dann falle ich in das Bandlogo. Selten habe ich einen so liebevoll gestalteten Schriftzug gesehen. Jeder Buchstabe ist für sich ein kleines Kunstwerk, in allen Ecken, in allen Schwüngen lässt sich etwas entdecken, wenn man sich nur die Zeit nimmt, es sich im Detail anzuschauen. Geäst, Wurzeln und schattenhafte Tiersilhouetten ziehen mich immer tiefer in ihren Bann, als plötzlich Zugabe-Rufe mich aus der Trance reißen. Das Konzert ist an seinem Ende angekommen, ich aber auch. Ein letztes (langes) Lied gibt es noch, bevor ich mich zu den Schlafgemächern begebe.
Kammermusik-Core
REMEMBER TWILIGHT sind es, denen die Ehre gebührt, den Festivalsamstag zu eröffnen. Gespielt wird eine Mischung aus Kammermusik und Rock, mit drei Streichinstrumenten und einem kompletten Metal-Line-Up. Stilistisch bewegen tut sich dies in recht düsteren Gefilden, mit Texten über Tod, Verderben und was sonst noch alles im Zwielicht auf einen lauert. Mal doomig, mal tanzbar, aber nie ohne einen Hauch memento mori, präsentiert die Stuttgarter Kombi einen sehr eigenen Sound.
Es gibt an diesem Spätnachmittag aber gleich zwei Besonderheiten: Am Schlagzeug sitzt Ole, welcher seit 2006 nicht mehr mit der Band zusammen aufgetreten ist, und aus dem Publikum winkt zudem Basti, früherer Geiger der Band, der extra aus Frankreich angereist ist.
Melodic Death Dudel
Es geht weiter mit viel Action: DVALIN sind hier, und haben eine gewaltige Portion Energie mitgebracht! Soll im Klartext heißen: Absoluter Abriss an der Rhythmusgitarre, viel Doublebass und Blast Beats, ordentliche Growls mit schöne Bandbreite – und das, während Dudelsack und Keyboard sich um die Hauptmelodien kümmern. Es hat was von Melodeath, aber eben mit Gedudel.
Tatsächlich finde ich aber erwähnte Rhythmusfraktion heute am interessantesten. Hier hat man sich nicht selten wirklich spannende Dinge einfallen lassen! Kreative Patterns und abwechslungsreiche Grooves bilden die Basis des musikalischen Konzepts der Würzburger Folk-Metaller. Eine stabile Performance, welche sich auch in der Motivation des Publikums widerspiegelt.
Oldschool und doch eigen
Wer spielt nochmal als Nächstes? „Wir sind Band UKANOSE aus Litauen!“ Stimmt, jetzt weiß ich wieder. In Keltenhemden (ist das das richtige Wort?) gekleidet stehen sie auf der Bühne und präsentieren nochmal eine ganz andere Herangehensweise an das Thema Pagan Metal (Viking Metal? Wo zieht man eigentlich die Grenze?) als alle Bands vor ihnen.
Die Gitarren lassen mächtige Viking-(Pagan-)Riffs der alten Schule erklingen, während der Gesang meist clean und melodisch und vor allem litauisch bleibt. Der naheliegendste musikalische Vergleich wäre vielleicht TYR, und dann auch wieder nicht so wirklich. Interessant ist eigentlich vor allem, dass UKANOSE nie über die Stränge schlagen, sondern sich innerhalb ebendieser recht basischen Schemata bewegen – das jedoch gewürzt mit ihrem ganz eigenen Flair.
Als kleine Überraschung haben sie ein Cover eines CORVUS-CORAX-Liedes mitgebracht: „Let Us Drink!“, natürlich in litauischer Übersetzung, lässt einen ersten Moshpit entstehen. Gleich im Anhang wird der Vibe mit ein paar humppalastigen Feiersongs aufrechterhalten, und spätestens beim allerletzten Stück (über Schnaps) sind dann alle Anwesenden hart am Bockhaben. Ausdrücken tut sich das in den seichtesten der Fälle mit entspannter Kopfnickerei samt vorgeschobenem Kinn, in den ausgelassensten mit paganer Pogo-Party im Pit.
Die Wucht ist zurück
So. Bevor ich nun zum gefühlt zehnten Mal in einem Festivalbericht schreibe, wie sehr FINSTERFORSTs Sound doch eine alles zerstörende Wand ist, und wie die Band wieder mal in einer Stunde genau auf 6 Lieder kommt, hier ein Versuch einer anderen Herangehensweise:
Ich genieße soeben einen gemütlichen Klogang, als aus der Ferne düster-epische Fanfaren beginnen, mich zum Nebenraum zu beschwören. Bald schon bin ich bereit, dem Ruf zu folgen – und finde mich wieder vor der Banner-Version des epischsten aller Albumcover. „Rastlos“ steht der Wanderer vor der endlosen Weite tannenbedeckter Schluchten und nadelloser Bergspitzen, und davor: FINSTERFORST. Holzfällerhemden, offene Bierflaschen, dem Sänger prangt mittlerweile graues Barthaar im Gesicht.
Die massive Soundwand (verdammt! Jetzt hab ich es doch geschrieben) und vor allem die Bassdrum beschwören heute derbe Zerstörung, als mir auf einmal Feinheiten in der Musik klarwerden, deren ich mir bisher gar nicht bewusst war. Interessante Rhythmusstrukturen, progressive Taktarten, kleine musikalische Spielereien in vielen unterschiedlichen Parts – ich erlebe FINSTERFORST heute mit einer Tiefe, die ich zuvor noch gar nicht entdeckt hatte. Schwerfällig sind sie immer, heavy, massiv. Aber auch mal schnell, auch mal aggressiv, mal schön, mal traurig, mal verzweifelt. FINSTERFORST machen Musik, die nur sie machen können, und das mit absoluter Virtuosität. Zieht einen rein, um einem dann mit aller Epischkeit die Fresse zu polieren. In manchen Momenten geht die Gitarre ein bisschen hinter dem Geknüppel des Schlagzeugs unter, aber ich genieße jeden Kick, der mir die Waden und die Hirnrückwand massiv massiert. Total finsterforstig.
Die Piraten des Rheins
Und schon wieder ganz etwas komplett anderes machen STORM SEEKER! Und ehrlich gesagt, die finde ich heute richtig nice. Upbeatige, Hurdy-Gurdy-trächtige Seemannslieder mit Metal-Energie – was will man mehr an einem solchen Abend?
Es gibt auf jeden Fall noch so einiges! Dies umfasst unter Anderem, aber nicht ausschließlich:
– Der Drummer spielt ein Solo und wird dabei von epischen Ozean-Akkorden und tiefblauer See-Beleuchtung begleitet.
– Die Band ist plötzlich weg, das Licht geht aus. Dann sieht man drei von ihnen mit ominösen Laternen durchs Publikum ziehen. In der Mitte der Halle, inmitten eines Mahlstroms aus Menschen, fangen sie an, Acapella weiterzuperformen.
– Als sie zurück zur Bühne schwimmen, spielt der Rest der Band (u.A. Mit Gitarrist Pauli nun am Schlagzeug) ein Cover von „The Wellerman“ an, und mit vertauschten Instrumenten wird das Lied zu Ende gespielt.
– Zum nächsten Song setzen sich ca. 50 Publikumspiraten auf den Boden und rudern auf Kommando der Band.
– Der Keyboarder reißt beim letzten Lied sein Instrument vom Ständer und enthüllt, dass es eigentlich eine Keytar ist.
Fazit: Ich bin begeistert vom Unterhaltungswert, den diese Band aus dem simplen Konzept der Seemannslieder herausholen. Ein Hoch auf STORM SEEKER!
Ein etwas anderer Abschluss
Man würde zu diesem Zeitpunkt nicht erwarten, dass schon wieder eine Band die Bühne betritt, die ganz andere Musik macht als alle anderen Acts des Festivals. Was genau HAGGARD aber eigentlich machen, ist mir bis kurz vor dem Konzert noch nicht so wirklich bewusst, und es dauert ehrlich gesagt auch etwas, bis ich es gänzlich verstanden habe. Der generelle Vibe zieht eher Richtung Klassikkonzert als Richtung Metalshow: Ein kleines Orchester sitzt auf der Bühne, ausgestattet mit Notenständern und -blättern, und nach dem ersten Lied wird erstmal eine Pause eingelegt, um die Instrumente eines nach dem anderen nachzustimmen, während das Publikum ratlos in der Gegend herumsteht.
Oft entpuppt sich die Musik auch als überhaupt komplett unmetallisch, und begibt sich dann wieder in ein Wechselspiel zwischen der harten und der sanften Welt. Die Dame rechts gibt einen eher operntypischen Sopran zum Besten, welches sich edel über Streicher und Harpsichord legt, dann wieder unleasht der Bandkopf Gitarre und Growls – und manchmal passiert das auch alles zur gleichen Zeit.
Sich tiefer in die metallene Richtung zu lehnen fangen HAGGARD gegen Mitte ihres Sets an. Jetzt sind die Songs auch mal schneller, heavyer, aggressiver. Ein Cover des schon von IN EXTREMO aufgegriffenen „Herr Mannelig“ bricht mit seiner Sänfte diese Energie gekonnt und erfreut die Herzen vieler, während Bandkopf Asis Akkorde greifend bis zum Mischpult spaziert und mit dem Soundmann (über den Sound?) zu plaudern beginnt.
Insgesamt liefern HAGGARD ein Spektakel hoher Kunstfertigkeit. Ich muss aber sagen, dass mein Gehirn nach wie vor nicht so ganz weiß, was es damit anfangen soll. Irgendwie scheint mir die Band (oder sollte ich sagen: das Orchester?) für einen Headliner ein bisschen zu speziell, ein bisschen zu avantgardistisch.
Und das war’s dann leider auch schon wieder.
Und noch leiderer war’s das diesmal gleich für’s nächste Jahr mit. Denn das MEAD & GREED macht jetzt erstmal für ein Jahr Pause und tritt erst 2026 wieder auf den Plan.
Wie dem auch sei, dass ich dann wieder dabei sein werde, darauf könnt ihr Gift nehmen einen Met trinken. Es ist immer wieder eine Freude, sowohl kleinere Bands zu sehen, die noch nicht so oft die Chance bekommen haben, vor mehr als ein paar Menschen aufzutreten – als auch die Art von mittelgroßen Bands, die man sonst selten bis nie zu Gesicht bekommt.
Gleichzeitig sei vor allem in diesem Jahr der musikalische Abwechslungsreichtum im Line-Up zu loben! Keine Band klang wie die andere, alle hatten sie ihre eigenen Interpretationen von Folk Metal, Pagan Metal oder angrenzenden Arten der Musikmacherei im Gepäck.
MEAD & GREED Festival, macht weiter so – es war wie jedes Mal ein Fest. Man sieht sich in zwei Jahren!
Vielen Dank an Matthias von Dark Art für die tollen Fotos!
Hier gibt’s mehr davon ->>> dark-art.com <<<-
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