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Chronik einer deutschen Kultband – Nagelfar

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Vor einigen Monaten berichteten wir über die geplante Neuauflage beziehungsweise Erweiterung der Diskographie des deutschen Black-Metal-Urgesteins NAGELFAR auf Vinyl und CD über das „hauseigene“ Label Ván Records. Nun ist es am 10. Februar 2017 endlich soweit. Dies möchte ich zum Anlass nehmen, um euch mit dem Schaffen dieser für mich ganz besonderen Band vertraut zu machen. Zudem skizziere ich die anderen musikalischen Betätigungsfelder der Protagonisten.

Zum Anfang gehen wir weit zurück in das Jahr 1993. Die zweite Welle des Black Metal kommt langsam aber sicher in seine Blütephase und namenhafte Bands wie etwa IMMORTAL, DARKTHRONE, EMPEROR und BURZUM veröffentlichen Klassikermaterial und prägen das Genre nachhaltig. In Deutschland ist von Black Metal noch nicht wirklich viel zu sehen und zu hören. Nationale Größen wie SECRETS OF THE MOON oder DARKENED NOCTURN SLAUGHTERCULT brauchen noch ein paar Jahre, um aus der Taufe gehoben zu werden.

So fanden sich nun 1993 Alexander von Meilenwald am Schlagzeug und Zorn an der Gitarre zusammen um ihre Vision von „schwarzem Metall“ zu realisieren und benannten ihre Band NAGELFAR. Der Name – im Original Naglfar, wie auch die deutlich bekanntere schwedische Black-Metal-Band – bezeichnet das Totenschiff, welches in der nordischen Mythologie zur Dämmerung der Götter in See stechen würde. Ein wahrhaft endzeitlicher Name!

Meilenwald zur Gründung der Band: „Es war die Faszination der Musik. Die Musik, die wir damals spielten, war quasi Death Metal. Eigentlich eher Krach, haha. Irgendwann stellten wir dann fest, daß sich unsere musikalischen Vorlieben etwas gewandelt haben. Also begannen wir mit einer neuen Band mit neuer Musik.“  (Quelle: www.legacy.de)

 

Die frühen Demo-Tage

In den ersten 2 Jahren der Bandexistenz gab es jedoch kein vollständiges Line-Up, bis 1995 im Aachener Raum Sveinn von Hackelnberg am Bass und Jander am Gesang zur Band stießen. Das erste Demo „Als die Tore sich öffnen“ wurde noch im gleichen Jahr in kleiner Stückzahl veröffentlicht. Von Anfang an zeigte sich der Anspruch, schwarzmetallische Gewalt mit großer Epik, einem Gespür für Melodie und durchdachten lyrischen Konzepten zu verbinden, selbst wenn das Ganze, wie zu dieser Zeit üblich, noch sehr rau und nach Low-Fi klang.

Das zweite Demo „Jagd“ (1996) wurde den großen Ambitionen schon deutlich mehr gerecht. Die Komplexität der Songs und die spielerische Klasse der Band reifte und dennoch ging es weiterhin in großen Teilen grimmig und brutal zur Sache. Auch die Variabilität von Janders Gesang war hier schon sehr gut zu erkennen.

 

 

Das Debütalbum

1997 war es nach einer gemeinsamen Split mit DARK EMBRACE, in welcher Sänger Jander ebenfalls tätig war, und einem unterzeichneten Plattenvertrag mit dem deutschen Label Kettenhund Records, Zeit für das Debütalbum „Hünengrab im Herbst“. Und dieses KANN meiner Meinung nach zu Recht als Meilenstein des deutschen Black Metals bezeichnet werden. Alle auf den Demos herausgearbeiteten Stilistiken wurden ausgebaut, verfeinert und auch klanglich durch die Aufnahmen im damals noch jungen Stage One Studio von Andy Classen, seines Zeichens Gitarrist der Kult-Thrasher von HOLY MOSES oder auch den längst vergessenen RICHTHOFEN, in das rechte Licht gerückt. Schwarzmetallische Brachialität kombiniert mit tollen Melodien und epischem Songwriting, erzeugten Hymnen und Werke wie etwa „Schwanengesang“, „Der Flug des Raben“ oder das schon vom ersten Demo bekannte „Seelenland“. Nach über 20 Jahren des Bestehens hat dieses Album nichts von seinem Glanz verloren, klingt auf der einen Seite charmant nach dem „Geist“ der 90er und wirkt auf der anderen Seite alles andere als altbacken. Bei einer solch leidenschaftlichen Darbietung und so guten Songs ist dies aber auch kein Wunder.

 

„Wertensuche Fährtensuche Gefährtensuche
Auf den verborgenen Pfaden der Ahnen
Wohin führt er uns?“ (aus dem Song „Hünengrab im Herbst“)

https://www.youtube.com/watch?v=S43UNJ7bzjU

 

„Sronntgorth“ oder von einer großen konzeptionellen Hürde

Das Zweitwerk NAGELFARs „Sronntgorth: die Macht erfaßte das Meine wie die Angst das Blut der Anderen“ folgte 2 Jahre später und stellt das mit Abstand ambitionierteste Werk der Aachener dar. Die Idee einer totalen Sonnenfinsternis, dem Sterben des Planeten, alles aus Sicht des Kriegers Sronntgorth erzählt, wurde in 5 überlange Kapitel gegliedert, wovon vier die Jahreszeiten und den Verfall symbolisieren und der Schlusspart „Willkommen zu Haus“ das Ende und den großartigen Abschluss dieser Dystopie heraufbeschwört. Das Sronntgorth-Konzept jedoch findet seinen Ursprung in den Anfangstagen der Band und wurde schon auf den vorherigen Veröffentlichungen behandelt. Bis auf das Kapitel „Herbst“, welches auf dem ersten Album Platz fand, waren die Darbietungen jedoch deutlich rauer und minimalistischer.

Somit stellt das Album eher eine Wiederaufnahme und Vergrößerung einer alten Idee dar und wurde auch von der Bandseite eher als Compilation, denn als vollwertiges Album betrachtet. Besonders interessant ist der Einsatz elektronischer Elemente, die im vierten Kapitel „Winter“ in einen rein elektronischen Song münden, an dem sich bis zum heutigen Tage die Geister scheiden. Ich kann mich nach all den Jahren des Hörens nicht wirklich damit anfreunden. Andererseits war die Kompromisslosigkeit und das im wahrsten Sinne des Wortes Pfeifen auf Konventionen eine tolle Sache, die die Band damals schon vom in der Black-Metal-Szene verhafteten rückwärtsgewandten Denken abhob. NAGELFAR zogen ihr Ding durch und entwickelten gerade deshalb einen ganz eigenen Sound, der immer klar im Black Metal verwurzelt war und dennoch herrlich frisch und unverbraucht klang. Hervorheben möchte ich noch das musikalische Hauptmotiv Sronntgorths, welches in jedem Song Verwendung findet und immer wieder in abgewandelter Form eingebaut wurde. Dadurch wird eine große Albumidentität geschaffen und dieses Motiv fräst sich unbeirrbar in die Gehörgänge. Hört euch einfach das Album an und ihr wisst wovon ich spreche.

Meilenwald zur Idee und Umsetzung der Sronntgorth-Thematik: „Die Idee dazu ist eigentlich sehr alt. Wir hatten schon nach dem ersten Kapitel (vom ersten Demo – Anm. d. Verf.) die Idee, das Konzept, so es abgeschlossen werden würde, als Ganzes zu präsentieren, um zu sehen, wie sich die einzelnen Teile miteinander vereinen lassen. Es war einfach das musikalische Experiment, die Herausforderung, die uns reizte.“ (Quelle: www.legacy.de)

 

 

„Virus West“ – auf neuen Pfaden

Schon während der Aufnahmen zu „Sronntgorth“ verließ Sänger Jander die Band und kehrte zudem der gesamten Metalszene den Rücken. Es sollte jedoch nicht das letzte Mal gewesen sein, dass man etwas von ihm hörte. Im befreundeten Musiker Zingultus, der damals bei GRAUPEL und DESECRATION tätig war und heutzutage bei ENDSTILLE seine Stimmbänder malträtiert, wurde letztendlich Ersatz gefunden. Die Bandmitglieder hatten außerdem in den 90er-Jahren mit einigen anderen Leuten den sogenannten „Wod-Ván“ gegründet, einen losen Zusammenschluss befreundeter Black-Metal-Musiker aus dem Raum Aachen. So kam es, dass speziell Alexander von Meilenwald auch bei anderen Projekten dieses „Zirkels“ mitwirkte und dies teils heute noch tut. Etwa beim kultigen Demoprojekt HEEMAT oder der War-Metal-Band TRUPPENSTURM.

Doch zurück zum Totenschiff. Das Bandgefüge schien vorerst stabil, im Label Ars Metalli wurde ein neuer Partner gefunden und bevor ein neues Album erschien, steuerte die Band noch die Songs „Moment der Hysterie“ zu einer Split mit BLUTTAUFE und dem heute begehrten Sammlerstück – der Wurzelgeister Compilation – den Song „Der Erlösung Totgeburt“ bei. Diese waren keinesfalls auf dem produktionstechnischen Standard der Langspielplatten, sondern roh, unterproduziert und allgemein eher an den Demotagen orientiert. Diese Rückbesinnung sollte sich auf dem leider letzten Album „Virus West“, welches 2001 erschien, bemerkbar machen. Die Band wollte einen sehr rohen Klang, entschied sich schlussendlich jedoch durch das erneute Aufnehmen in den Stage One Studios für einen Kompromiss, um keinen zu harten Bruch im Hauptschaffen der Band zu erzeugen.

„Virus West“ kam somit deutlich grimmiger und gitarrenorientierter daher, enthielt jedoch alle bekannten und geliebten Trademarks. Die Epik war vorhanden, auch das Gespür für tolle Melodien und doch klang die Band nie so brutal wie auf diesem Album. Der abschließende Song „Meuterei“ dürfte wohl zu einem der besten Black-Metal-Songs aller Zeiten gehören. Auch wenn damals noch nicht abzusehen war, dass dies der offizielle Abgesang der Band sei, so stellt dieses Werk und speziell dieser Song einen wahrhaftig mächtigen Abschluss dar.

 

 

Der Abgesang und was danach kam

Im Jahr 2003  ließ Gitarrist Zorn verlauten, dass er nicht mehr die Motivation und Hingabe für die Band aufbringen könne und entschied zusammen mit Meilenwald die Band auf Eis zu legen, da NAGELFAR nur mit beiden Akteuren existieren könne. Zuvor war noch die „Ragnarök“-EP aufgenommen worden, von der jedoch nur wenige Exemplare existieren, die unter Freunden und nahe stehenden Personen verteilt wurden. Das Material wird auf der im Zusammenhang mit den Wiederveröffentlichungen erscheinenden Compilation „Alte Welten“ erstmals offiziell zugänglich gemacht.

Nichtsdestotrotz sollte das Ende der Band jedoch nicht das künstlerische Ende der Beteiligten bedeuten. Meilenwald begann unverzüglich mit den Arbeiten an seinem Projekt THE RUINS OF BEVERAST und schafft damit bis heute extrem starke Alben in der Schnittmenge von Black Metal, Death Metal, Doom, Ambient und experimenteller Musik. Ex-Bassist Sveinn gründete, in der Motivation, das erste Album des neuen Projekts Meilenwalds zu veröffentlichen, Ván Records (der Name leitet sich wiederum vom zuvor angesprochenen „Wod-Ván“ ab). Dieses Label bekam spätestens mit dem Erfolg der Occult-Retro-Rocker THE DEVIL´S BLOOD eine Menge Aufmerksamkeit und gehört heute zu einem der bekanntesten und qualitativ stärksten Indie-Labels der gesamten Metalszene.

 

 

Doch auch Gitarrist Zorn tobt sich musikalisch weiterhin mit seinem Projekt SIMPLE EXISTENZ aus, welches auch auf der kürzlich vorgestellten Zusammenkunft Compilation mit dem Demo-Song „Lava“ vertreten war. Stilistisch deckt die Musik eine extrem große Bandbreite extremer Metal- und Rockmusikarten ab. Auf dem letzten Song „Schaben“ des bislang einzigen Albums „Das Leben vor dem Tod“, kehrte sogar Jander zurück ans Mikro und lieferte eine absolute authentische und heftige Gesangsdarbietung ab.

 

 

Zingultus hingegen arbeitete in den Jahren nach NAGELFAR vermehrt an den beiden Alben seiner alten Band GRAUPEL und ist zudem seit dem Ausstieg des ehemaligen ENDSTILLE-Sängers Iblis bei den Kielern aktiv und überzeugt auch dort mit einer sehr starken Sangesleistung.

 

 

Letztendlich gibt es meiner Meinung nach mehr als genug von sehr guten deutschen Black-Metal-Kombos, auch wenn diese nicht gerade dafür bekannt sind, das gesamte Genre geprägt zu haben, wie etwa die skandinavischen oder französischen Vorreiter. In früheren Tagen schaffte es eine Band wie NAGELFAR jedoch ihre ganz eigene und bis heute extrem hochwertige Interpretation dieser dunklen Spielart abzuliefern und ist deshalb nach wie vor ein Name der immer wieder genannt wird, wenn es um großartigen, einheimischen Black Metal geht.

Wer das Schaffen der Band bis jetzt noch nicht auf dem Schirm hatte, sei angehalten, ein wenig Zeit in die Werkschau der Aachener zu investieren. Die Wiederveröffentlichungen über Ván Records und das Zugänglichmachen alten Archivmaterials bieten dazu eine gute Gelegenheit.

 

„Wir stiften Panik und bleiben unerkannt dabei – Meuterei.“ (aus dem gleichnamigen Song „Meuterei“)


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3 Kommentare

  1. Patrick
    12. Dezember 2018 bei 5:18 — Antworten

    Habe 2000 mit Nagelfar angefangen… und blühe gerade 18 Jahre später wieder im Black Metal auf. Nagelfar waren seit jeher das Brett für mich. Jander damals eine Art Gott. Danke für den netten Beitrag. Fühle mich zurückversetzt

  2. Yersinia Pestis
    1. Februar 2017 bei 10:58 — Antworten

    Ich bin zwar nicht vertraut mit Nagelfar, aber ich finde den Artikel richtig gut gemacht. Schön geschrieben und die Einbettung der Videos, als kleine Zeitreise, läd zum reinhören ein. Da hat sich der Autor viel Mühe gegeben. Thumbs up dafür!

    • 2. Februar 2017 bei 9:00 — Antworten

      Vielen Dank Yersinia! Dein Feedback freut mich sehr! 🙂 LG Oli

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