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Core Classics #21 – Despised Icon

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Hier bekommt ihr eure wöchentliche Dosis an Core-Alben mit Legenden-Status. Viele Vorurteile gegenüber dieser Musikrichtung konnten ja bereits schon ausgelöscht werden. Und genau deswegen gibt es jetzt auch diese Kolumne, denn ich kann sie schreiben und mich danach immer noch auf die Straße trauen!

DESPISED ICON – Consumed by Your Poison
Veröffentlichungsdatum: 02.10.2002
Länge: 26:45 Min.
Label: Galy Records

Heute wagen wir uns an den zweiten Teil der heiligen Dreifaltigkeit des Deathcores. Meine Einführung und die Besprechung des ersten Knallers von ALL SHALL PERISH findet ihr hier. Ziemlich ähnlich aber auch ganz anders geht es bei DESPISED ICON zu. So stark verwirrten Aussagen sollte man zwar meistens keine Beachtung schenken, aber in diesem Fall treffe ich mit dem Verfehlen des Nagelkopfes genau ins Schwarze. Wer hier nämlich den gleichen Quark wie in „Hate. malice. Revenge.“ erwartet, wird entweder enttäuscht oder beglückt. Es wird nämlich, von besonders einer Sache, mehr geboten: den unverständlichen Vocals. Es reicht zwar nicht, um zum Rhythmus der Pig-Squeals aggressiv die Fensterscheiben von Luxusschlitten aus der Nachbarschaft einzuschlagen und während der schnellen Parts zum nächsten Opfer-Wagen zu rennen, aber einen gewissen „Es reicht uns!“-Ton gibt die Platte schon an.

Kochshow-Slang auf Deathcore

Das ist weit entfernt von den Wurzeln der ursprünglichen Hardcore Punk-Szene, bereitet dennoch denen ein Grinsen, die nach Hinweisen auf die Vergangenheit von Musikstilen suchen. Die Texte klagen Ikonen und Vorbilder an, daher auch der Name der Band (zu gut Deutsch: verachtete Ikone), und wollen Massentierhaltung sowie der Existenz einiger menschlicher Leben ein Ende setzen. Man nehme Death Metal-Schreibstil und Rhetorik und vermische sie mit echten, gesellschaftlichen Themen und et voilà – entschuldigt den Kochsendungs-Ausdruck, auf diese Sprache kommen wir nämlich später noch zurück – die zweisprachige Genre-Kombination ist geglückt.

Pädagogisch wertvoll für jedes Kind sollte die Bilingualität dieses Albums sein, denn es gibt ganze Lieder auf Französisch. Wer beim Google-Übersetzer nicht weiterkommt, sollte sich aber nicht geschlagen geben. Letztendlich versteht man ohne das Lesen der Texte sowieso nichts, denn hier wird so oft der Pig-Squeal von den gleich zwei Sängern eingesetzt, dass man meinte, die Kanadier dichten ihre Inhalte nach der Aufnahme des Albums einfach dazu. Dass viele Deathcore-Hörer als Kinder abgestempelt werden, ist jetzt nicht mehr verwerflich, denn das würde hier bedeuten, von klein auf zweisprachige Musik zu erleben. Der Lerneffekt ist hier doppelt so hoch, schließlich muss man die beiden Schreihälse, einer davon sogar weiblich, erstmal verstehen. Interpretieren darf man dann bei vagen Aussagen auch noch so einiges, schließlich gibt es ganze Lieder, die sich wie ein Gedicht lesen.

Porn-Jon as its best…

Emanzipation wurde groß geschrieben und vielleicht half die Sängerin auch dabei, dass wir bei modernen Hardcore-Formationen wie OATHBREAKER und CODE ORANGE Frauenstimmen genießen dürfen. Es ist nämlich die wichtigste Qualität der Band, sich mit unverständlichen Vocals von der Masse abzusetzen. Das wurde an ihnen immer zu Recht gelobt, selbst auf ihrem Comeback-Album „Beast“ (2016) geben die alten Haudegen wieder brutale, kompromisslose Brüller zum Besten. Seit 2004 besetzt zwar ein Mann die zweite Hauptrolle, aber der Gleichstellungsversuch wurde verstanden und begrüßt. Da das gesamte Silence-Team französisch nicht als Sprache, sondern als Repertoire des sexuellen Vergnügens zu kennen scheint, haben wir uns an einer notdürftigen Übersetzung versucht, die zeigt, was die Texte denn nun eigentlich aussagen sollten – Besserwisserkommentare und Berichtigungen sind willkommen.

Travailleur acharne poisson de la société
ardemment indigne faiblement récompense
Fanatischer Arbeiter, Fisch der Gesellschaft – sehnlichst unwürdig, schwach belohnt
„Poissonariat“

Ummantelt wird das leidende Gequieke von zum Teil sehr technisch aufgemachten Instrumenten, die ihren Einfluss auf Kollegen wie JOB FOR A COWBOY und RINGS OF SATURN vermuten lassen. Stumpfe Breakdowns beziehungsweise Slams gibt es trotzdem wie Braunbären in kanadischen Siedlungen. Was aber auffällt ist, dass sich DESPISED ICON meinen Tipp an junge Deathcore-Gruppen bereits damals sehr ernst nahmen. So hat dieses Debüt-Album eine Länge von gerade mal 26 Minuten, ein perfekter Pig Squeal-Snack für zwischendurch. Würde man das gesamte Album anhand der vorhandenen Ideen ausdehnen, würde nicht mehr viel von der Aufmerksamkeitsspanne des Zuhörers übrig bleiben.

Massentauglichkeit? Nö!

Denn so sehr man auch versucht sich auf die Texte hinter der Wand aus Geräuschen zu konzentrieren, man vermag es einfach nicht zu bewältigen. Genauso abstrakt und schwer zugänglich sollte extreme Musik meiner Meinung nach sein. Damit waren DESPISED ICON zusammen mit CONVERGE einer der wenigen, ersten Vertreter, die diese Einstellung auch in den Core-Genres salonfähig gemacht haben. Nicht alles muss für die Masse aufbereitet werden und verständlich sein. Diesen Leitfaden verfolgt man ja schon bei der Zweisprachigkeit der Lieder.

Die Riffs, die an die Breakdowns und Blast-Beats anknüpfen, erinnern fast ausschließlich an Death- und Slam-Bands wie DYING FETUS oder SUFFOCATION. Trotzdem schleicht sich immer mal wieder ein Two-Step-Rhythmus in die Extremitäten des Schlagzeugers und im Nu bekommt der Zuhörer genauso Lust auf Hardcore der alten Schule wie die Gitarristen auch. Das Gesamtpaket ballert einem so ordentlich die Gehörgänge weg, dass an erneute Ohrenschmalzbildung nicht mehr zu denken ist. Für eine so gründliche Reinigung darf man beim HNO-Arzt gern länger sitzen und da ist die Wartezeit noch nicht mit inbegriffen. Wichtig ist hierfür, dass man sich für einen natürlich klingenden Gitarren-Ton entschieden hat. Dadurch wirkt die Brutalität nicht künstlich erzeugt und alles andere als erzwungen. Ein weiterer wichtiger Bestandteil von dem, was extreme Musik und Death Metal-Untergenres ausmacht, ist nämlich Ehrlichkeit und Offenheit. Perfekt passend dazu sind weder der Gesang, das Schlagzeug, noch die Gitarren überbearbeitet. Es wäre wahrscheinlich auch ein Verrat an sich selbst und dem Bandnamen, wenn man zu irgendeiner Ikone aufblickt und deren glatte Produktion übernimmt. Die rohe Deathcore-Flagge schwingen sie auch heute noch, was sie 2016 mit einem beeindruckenden Comeback-Album zeigten. Aber, hört selbst:

Fazit:

Die Anführer der Deathcore-Szene waren schon vor 15 Jahren kompromisslos und ohne Rücksicht auf andere Geschmäcker unterwegs. Sie haben immer ihr eigenes Ding durchgezogen und versüßen damit heute noch vielen Fans den Alltag. Auch wenn sie nicht mehr mit dem Bekanntheitsgrad vieler jüngerer oder unkreativerer Bands mithalten können, haben sie sich einen Platz unter den Genre-prägenden, lebenden Legenden der Core-Untergenres redlich verdient. Man schaue sich nur ihre Albumcover an. Da hört man sofort Pig-Squeals im Kopf. Vielleicht geht es nur mir so, vielleicht bin ich damit aber auch nicht allein. Ich hoffe es. Helft mir!

 

Bilder mit freundlicher Genehmigung von Despised Icon und Despised Icon

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1 Kommentar

  1. Vicer Exciser
    18. Januar 2017 bei 16:47 — Antworten

    Stimme deinem Text voll und ganz zu. Vor allem das mit dem natürlichen Klang ist etwas, was ich an den Jungs liebe. Despised Icon ist eine der wenigen Deathcore-Bands, bei denen man beim Hören diesen Hardcore-Klang hat, ohne dass das Ganze in Richtung Beatdown geht.

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