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GHOST TOAST – bereit zum Abflug?

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GHOST TOAST – Out Of This World
Veröffentlichungsdatum: 07.06.2017
Dauer: 58:31 Min.
Label: Inverse Records
Stil: Instrumental Progressive Rock

Ein cooler Bandname ist die halbe Miete. Das bewahrheitet sich im Falle von GHOST TOAST einmal mehr. Sonst wäre mir diese eher unbekannte Prog-Rock-Band vermutlich durch die Finger geglitten. So durfte ich jedoch feststellen, dass die Kreativität der vier Ungarn über den Prozess der Namensfindung bei Weitem hinausgeht. Denn die neun Instrumentalstücke auf „Out Of This World“ machen dem Titel des Albums alle Ehre. Lasst euch also von der großen Hand im Himmel auf einen überirdischen Trip entführen!

Der Opener „Ka Mai“ beginnt verhalten, zieht jedoch nach rund 30 Sekunden mit kraftvollen Gitarrenriffs nach vorne. Ab da klebe ich mit beiden Ohren an den Boxen und sauge gierig jeden Ton in den Gehörgang. Extrem smoothe Bassläufe, vereinzelte Cello-Töne und komplexe Rhythmik versetzen mich in Ekstase. Gesang wäre hier völlig überflüssig, denn die Instrumente sprechen für sich. Die letzten eineinhalb Minuten reißen mit fantastischen Gitarren-Leads meine Armhaare endgültig gen Himmel. Während der Schlussakkord ausklingt, muss ich erst einmal durchschnaufen. Als Raucher bräuchte ich jetzt die Zigarette danach. Was für ein Auftakt!

FREILAUFENDER PROG ROCK

Doch servieren GHOST TOAST mit „Gordius“ direkt den nächsten musikalischen Leckerbissen. Die erste Minute besteht aus freilaufendem Prog Rock ohne Zusatzstoffe. Mit markanter Cello-Note versehen, offenbart das Stück seine aromatische Vielfalt. Schwungvolle Synthesizer-Passagen intensivieren das Geschmackserlebnis und sorgen für richtig Spaß in den Backen (Der Post-Rock-Gourmet mag sich hierbei an Kreationen aus dem Hause MASERATI erinnert fühlen.). Warmes Cello-Aroma, aufgepeppt mit knusprigem Gitarrenspiel Marke GOD IS AN ASTRONAUT, garantiert den perfekten Abgang. Ein akustischer Gaumenkitzel erster Güte!

Mit „Alia“ und „The Dragon’s Tail“ lebt die Band ihre Begeisterung für Soundtracks aus. Erstgenanntes Stück versetzt mich durch seine Flüster- und Sprachpassagen sowie die geheimnisvollen Synthie- und Cello-Klänge assoziativ in die Welt des Videospiels „Eternal Darkness“. Sanftes Gitarren- und Bassspiel bringen etwas Dynamik in den Song. Dennoch bildet das Stück nach der vorangegangenen Intensität einen willkommenen Ruhepol. Ganz im Gegensatz jedoch zum folgenden Titel.

FLUG ÜBER MITTELERDE … UND DER TIEFPUNKT DES ALBUMS

Trommeln in der Tiefe. Pianoklänge. Sanfte Hörner. Dann trägt eine kraftvolle Männerstimme in unbekannter Sprache eine Art Beschwörung vor. Christopher Lee tritt in wallendem Gewand als Saruman vor mein geistiges Auge. Und – bumm! Jetzt wird es richtig episch. Von Trommeln begleitet, fliegen Hörner und Cello in „The Dragon’s Tail“ über die endlosen Berge und Täler Mittelerdes. Nach der Ablösung durch weitere Sprachsamples sowie Piano- und Synthie-Klängen prog-rocken GHOST TOAST wieder hart. Schließlich trägt das Cello den Hörer hinaus und schließt Minas Tiriths Pforten hinter ihm. Absolut beeindruckend!

„Minotaur“ bildet den Mittel- und leider auch den Tiefpunkt des Albums. Also, kein allzu tiefer Tiefpunkt. Eher jammern auf hohem Niveau. Einen solchen „Tiefpunkt“ würden sich zahlreiche andere Bands wünschen! Von musikalischen Großtaten umringt, erscheint der Song einfach etwas weniger herausragend. Zumindest die ersten drei Minuten lang. Gemischt mit Cello-Spiel und Synthies, progt es hintenraus doch noch fein. Sorry, „Minotaur“, selbst in einer Eliteklasse muss es einen 2er-Schüler geben!

HULDIGT DER FRUCHTBARKEITSGÖTTIN!

Von mystischen Klängen getragen, schwebt nun „Kaia“ heran. Unter Percussions und Cello mischt sich orientalisch angehauchter Frauengesang. Auch der Bassist profiliert sich einmal mehr als elementarer Bestandteil des Klangkonstrukts. Nach fünf Minuten tritt der mehrstimmige weibliche Gesang komplett in den Mittelpunkt, die Bandmitglieder positionieren ihre Instrumente dabei wie Opfergaben um die Statue einer Fruchtbarkeitsgöttin. Die Thematik und der instrumentale Song erinnern unweigerlich an die Werke der Psychedelic-Rocker MY SLEEPING KARMA – definitiv ein Kompliment!

Hier findet ihr übrigens das komplette Album „Out Of This World“ bei YouTube

„KOKW calling, come in. KOKW calling, I’m on international frequency. Come in.“ Diese Worte eröffnen das Stück „Last Man“, das seine Inspiration aus dem Film „The Last Man On Earth“ (1964) zieht. Kraftvolle Prog-Riffs und zurückhaltendes Cello-Spiel ummanteln die eingespielten Zitate aus dem Sci-Fi-Horror-Klassiker. Wenn die Gitarre dabei mit Vollgas nach vorne prescht, fängt sie das Cello immer wieder mit melancholischen Melodien ein. Diese Art der Komposition jagte mir schon beispielsweise bei MAYBESHEWILL regelmäßig wohlige Schauer über den Rücken. Mit „Last Man“ stehen GHOST TOAST dem in nichts nach.

KRIECHT EIN SAXOFON DURCH DEN DSCHUNGEL …

Bei „Ishvara“ tritt das Cello einmal mehr an prominente Stelle. Auch hier trägt orientalisch klingender, klagender Frauengesang zur mystischen Atmosphäre bei. Diesmal gesellt sich jedoch ein männlicher Konterpart hinzu. Als „Ishvara“ bezeichnet man im Hinduismus übrigens den jeweils höchsten persönlichen Gott (danke, Dr. Wiki!). Erneut kommt man assoziativ kaum an MY SLEEPING KARMA vorbei. Während der Song gemächlich, vorbei an lianenverhangenen Tempeln, durch den indischen Dschungel kriecht, schlängelt gegen Ende sogar ein Saxofon aus dem Gebüsch. Sehr eindrucksvoll und klangfarbenfroh!

Wer findet den Skyrim-Fan bei GHOST TOAST?

DAS GROSSE FINALE? NICHT GANZ …

Wer beim Schlussstück „Pawn Of Fate“ mit einem epischen Finale rechnet, dürfte vielleicht zunächst enttäuscht sein. Denn der letzte Song ist mit 3:12 Minuten Spielzeit zugleich der kürzeste des Albums. Macht aber nix. Nach einem letzten musikalischen Höhenflug geleiten GHOST TOAST den Hörer mit ruhigen Klängen zur Erde zurück. Es ist wie das sanfte Erwachen aus einem wunderschönen Traum. Mit dem Unterschied, dass es für „Out Of This World“ einen Replay-Button gibt, den ich nur zu gern betätige.

GHOST TOAST bei Facebook und Bandcamp

Bild mit freundlicher Genehmigung von GHOST TOAST

Autorenbewertung

9
Mit einem Wort: atemberaubend! GHOST TOAST haben mich mit "Out Of This World" vielfältig emotional berührt. Einerseits headbangend auf den Tisch klopfend, andererseits mit Gänsehaut eine Träne verdrückend. Aber immer großes Kino. Ein Album, das vor Kreativität und Abwechslungsreichtum nur so strotzt. Die 9 Punkte sind abgerundet von einer 9,4. Nur ganz knapp an der Höchstwertung vorbei!
ø 4.4 / 5 bei 15 Benutzerbewertungen
9 / 10 Punkten

Vorteile

+ zahlreiche Gänsehaut-Momente
+ harte Prog-Rock-Passagen
+ dichte, atmosphärische Stücke
+ belastbare Spannungsbögen
+ exakt dosierter Cello-Einsatz
+ Abwechslungsreichtum
+ der Bandname
+ ich liebe Instrumentalmusik

Nachteile

- "Minotaur" ist der 2er-Schüler in der Eliteklasse
- Instrumentalmusik ist nicht für jeden was

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3 Kommentare

  1. Daniela
    27. Juni 2017 bei 20:28 — Antworten

    „Instrumental ist nicht für jeden was“
    Da magst du recht haben. Ich gehöre aber tatsächlich zu den Menschen, die sich eher durch Gesang einige Musik versauen lässt (ich bin da wirklich sehr sehr penibel) und deswegen sauge ich Instrumental immer auf wie ein Schwamm. jetzt muss ich mal schauen wo ich mir das gute Stück fürs Regal besorgen kann!

    • Andi
      6. Juli 2017 bei 13:38 — Antworten

      Hey Daniela,

      klar, wer nicht singt, kann dahingehend schon mal nix verkehrt machen. Ich hatte auch schon einige Alben zur Bewertung, die ohne Gesang vermutlich besser abgeschnitten hätten.
      Wenn man nur den Songtitel als einzige Textäußerung zur Musik bekommt, entstehen natürlich ganz unterschiedliche Bilder vor dem geistigen Auge des Hörers. Das finde ich so fantastisch an Instrumentalmusik. Das Album von GHOST TOAST gibt es meines Wissens nach leider überhaupt nicht fürs Regal, sondern nur für die Mp3-Sammlung. Oder hast du inzwischen irgendwo in den Untiefen des Netzes eine physische Kopie auftreiben können?

      • Ostseemetal
        7. Juli 2017 bei 21:59

        Das genannte Problem habe ich nahezu grundsätzlich bei Melodic Death Metal. Amon Amarth und Arch Enemy machen auf der Seite der Instrumentalisten grandiose Musik, aber ich krieg bis heute keinen Draht zu gutturalem Gesang. Am liebsten wäre mir Klargesang, aber wenn ich davon Instrumentalversionen auftreiben könnte, würde ich mir das auch mit Vergnügen anhören.

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